Was mit Rose geschah
während ich mich aufsetze und gegen den Strohhaufen lehne.
»Es tut mir leid, dass ich hier aufgetaucht bin, aber ich wusste nicht, was ich machen soll. Ich musste weg und bin irgendwo in der Nähe gelandet – mitten in der Nacht … Ich wollte einfach nur schlafen und nachdenken.«
»Du hättest mich wecken sollen.«
Katie sieht jetzt weicher aus, ihre Lippen sind geöffnet. Stella schaut sie an.
»Wir müssen etwas für den Schnitt holen. Eigentlich gehörst du ins Krankenhaus. Das sollte genäht werden.«
Ich berühre mit meiner verletzten Hand die Stirn und keuche auf vor Schmerz, diesmal nicht gespielt.
»Ich will nichts tun, was meine Familie in Schwierigkeiten bringt. Ihr dürft bitte nicht die Polizei rufen. Versprecht ihr das?«
Die beiden schauen sich an. Sie nicken, Stella zögerlicher als Katie.
»Wenn ich nur etwas zum Desinfizieren hätte … und was zu essen. Dann wird mir schon was einfallen.«
Ich habe keine Ahnung, was mir einfallen könnte. Ich hoffe nur, dass sie den Stadtrat nicht holen, solange ich den Eindruck erwecke, dass ich weiß, was ich tue. Auf sein Mitgefühl kann ich kaum zählen.
»Du kannst dich nicht ewig verstecken. Ihre Eltern werden es bald merken.«
»Ich weiß. Ich weiß. Nur ein oder zwei Tage.«
»Weiß deine Mutter von dieser … Schlägerei?« Stella runzelt überlegend die Stirn.
Ich zögere. Was soll ich dazu sagen? Ich kann mir im Augenblick nicht mal vorstellen, mit Mama zu sprechen. Was sollte ich zu ihr sagen?
Ich nicke. Stella ist schockiert.
Katie hingegen wirkt auf einmal ganz sachlich. »Natürlich kannst du hierbleiben. Ich bringe dir etwas zu essen. Das ist kein Problem. Dann überlegen wir in Ruhe, was wir machen. Du kannst nicht nach Hause. Jedenfalls nicht jetzt.«
Katie sieht zufrieden aus. Ich glaube, sie findet Spaß an der Sache. Es ist ein Spiel; ein Geheimnis, das sie vor ihren Eltern hat.
»So, ich hole jetzt die Sachen aus dem Badezimmer. Und dann sagen wir, dass wir draußen Tee trinken, wenn wir Subadar aus dem Stall holen. Ich besorge was aus der Küche.«
Sie grinst aufgeregt.
Stella wirkt noch immer unsicher und kaut auf der Lippe.
»Danke, Katie, das ist wirklich nett von dir. Ich wüsste nicht, was ich sonst tun soll.«
Sie steht auf, ihre Augen glänzen vor Unternehmungslust. »Komm, Stella …«
»Okay.« Stella sieht noch immer ernst aus. »Schaffst du es allein dort hinauf?«
»Ich glaube schon.«
»Es dauert nicht lange.«
Ich bin ein bisschen benommen vor Erleichterung und spüre eine überwältigende Liebe zu den beiden. Sie sind Engel.
Katie geht kurz hinüber zu Subadar, wie um ihr Alibi zu bekräftigen, und dann verlassen beide fröhlich plaudernd den Stall, als würden sie in der Schule über den Flur spazieren und als wäre ich kilometerweit entfernt.
Kaum liege ich wieder in meiner kleinen Kuhle, fange ich an zu zittern. Ich habe seit fast vierundzwanzig Stunden nichtsgegessen, zusätzlich zu allem anderen, was passiert ist. Einen Moment lang fürchte ich, mir könnte schlecht werden, doch stattdessen fange ich an zu weinen. Warum gerade jetzt, weiß ich nicht. Tränen laufen über meine Wangen ins Stroh. Ich muss ein schlechter Mensch sein. Zweifellos, denn ich habe seit gestern so viele schlimme Dinge getan – bin in ein fremdes Haus eingebrochen und habe Sachen zerstört und gestohlen und gelogen. Aber sind andere nicht noch schlimmer als ich?
Ich möchte Mama sehen und kann doch den Gedanken an sie nicht ertragen. Ich hoffe, es tut ihr leid, dass sie mich gestern Abend hinausgeworfen und was sie alles gesagt hat. Es tut mir leid, was ich zu ihr gesagt habe, obwohl es mir trotzdem richtig erscheint. Ivo muss inzwischen zurück sein. Sie werden sich denken, dass ich es war, der in seinen Wohnwagen eingebrochen ist. Vielleicht merkt er sogar, dass ich alles durchsucht habe. Dass ich gesehen habe, was er in seinem Schrank aufbewahrt. Und wenn schon? Es ist mir egal. Ich will ihn nie wieder sehen. Ich muss nur Mama irgendwann eine Nachricht zukommen lassen, damit sie weiß, dass es mir gut geht. Irgendwann.
Eins nach dem anderen, sage ich mir. Eins nach dem anderen. Jetzt muss ich nur aufhören zu weinen, bevor Katie und Stella zurückkommen und mich dabei erwischen.
34
Ray
Die Baustelle am Black Patch ist zum Tatort geworden. Ich bemerke schon von weitem das flatternde gelbe Absperrband. Es ist das Erste, was man von der Straße aus sieht; danach das schmutzig braune Wasser, das sich wie eine
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