Was mit Rose geschah
Desinfektionsmittel zu spät gekommen; es scheint nicht zu helfen. Irgendwann wache ich auf und bin allein. Er ist vollkommen dunkel. Ich habe einen Schrei gehört, er klang wie ein Hilferuf; davon bin ich aufgewacht. Vielleicht war es der alte Fuchs oder ein Traum.
Oder ich selbst.
Mein Arm verströmt Hitze wie ein Ofen. Ich hebe ihn hoch, aber es ist zu dunkel, um etwas zu sehen. Er fühlt sich an, als wäre er aus Blei. Innen pulsiert ein dunkelroter Schmerz. Ich habe Angst, richtige Angst. Vielleicht zum ersten Mal. Meine tiefste Furcht drängt an die Oberfläche und schaut mir ins Gesicht. Es ist immer das Blut – tief in uns –, das uns im Stich lässt. Ich frage mich, ob ich die Krankheit auch habe – eine dunkle Furcht, die ich seit langem nicht gespürt habe. Vielleicht äußert sie sich so. Vielleicht hat sie die ganze Zeit auf der Lauer gelegenund diesen Moment ausgewählt, um loszuspringen und mich anzugreifen. Ich fühle mich schwach, schlaff und nutzlos. Wenn ich nun hier in diesem Stall sterbe? Was werden die Leute sagen?
Ich bin vom Strohhaufen gerutscht und sitze auf dem Boden. Woher ich auch komme und was ich auch bin, ich will nicht in einem Stall sterben, allein mit einem Pferd. Subadar schaut mit mildem Interesse umher; er merkt, dass meine Zeit in diesem Stall zu Ende geht. Ich richte mich auf – ich fühle mich wirklich sonderbar, als wären meine Arme sehr lang und meine Hände ganz schwer – und gehe zur Tür. Zum Glück ist das Schloss nur eingehängt; ich kann ohne weiteres hinaus in den Regen wandern. Ich muss um den ganzen Stall herumgehen, um zum Haus zu gelangen. Es scheint ewig zu dauern. Das Haus ist vor mir, kommt aber nicht näher. Irgendwann merke ich, dass ich weine und wie ein Baby schniefe. Es ist ekelhaft, aber ich kann nicht aufhören. Ich scheine seitlich zu gehen, als gäbe es ein Kraftfeld um das Haus, das dreckige Zigeuner abhalten soll. So taumele ich bis zur Vorderseite. Katies Zimmer geht zu dieser Seite, aber ich weiß nicht, welche Fenster ihre sind. Nirgendwo brennt Licht. Dann frage ich mich, ob es so klug ist, Katie zu wecken. Ich habe das Gefühl, sie will nicht, dass ihre Eltern von mir erfahren, egal wie krank ich bin, damit sie mich weiter im Stall halten kann wie ihr Pferd. Wie ein Haustier. Dabei brauche ich gerade jetzt einen Erwachsenen.
Ich kämpfe kilometerweit gegen das Kraftfeld an – den ganzen Weg bis zur Haustür. Keuchend komme ich dort an. Es hat Stunden gedauert. Ich lehne mich mit dem Gesicht gegen die wunderbar kühle Glasscheibe mit dem silbernen Blumenmuster und drücke die Klingel. Mir ist egal, was sie mit mir machen, es kann nicht annähernd so schlimm sein wie das, was mein Blut mit mir macht. Ich weiß nicht, wie lange ich die Klingel drücke, ich höre nichts, doch irgendwann geht drinnen das Licht an. Ich sacke gegen die Tür, bald wird jemand anders entscheiden, was zu tun ist. Es ist mir egal, wer jetzt kommt und was er tut,solange ich es nicht tun muss. Eine Stimme ertönt, ich kann sie nicht verstehen. Es ist zu anstrengend, aufrecht zu stehen, wenn ich mich gegen diese wunderbar kühle Tür lehnen kann. Als sie aufgeht, rutsche ich anmutig zu Boden und bleibe vor den Füßen des Stadtrats liegen. Diesmal brauche ich nicht zu spielen.
36
Ray
Lulu klingt müde.
»Wie geht es Christo?«
Sie seufzt. »Ganz gut, denke ich. Kath ist jetzt bei ihm. Ich bin gerade nach Hause gekommen.«
»Dann haben Sie also von Ivo gehört?«
»Ja. Sie sollten wissen, dass ich … dass wir alle Ihnen sehr dankbar sind, weil Sie sich so um Christo gekümmert haben. Mit dem Spezialisten und was Sie gestern getan haben. Der ganze Ärger mit Ivo tut mir sehr leid.«
»Schon gut. Hauptsache, Christo geht es gut.«
»Nochmals vielen Dank. Ich nehme an, Ivo hat seine Gründe, obwohl ich sie nicht verstehe. Vermutlich hat Ihnen mein Bruder gestern Abend die Geschichte vom ›armen Ivo‹ aufgetischt.«
»So in der Art. Er tat mir leid.«
»Machen Sie sich keinen Kopf. Er hat es nicht schlimmer getroffen als alle anderen auch.«
»Ich meine Ihren Bruder. So viel Pech; es ist beinahe unglaublich.«
Eine unbehagliche Pause. Ich könnte mich ohrfeigen, weil ich immer wieder vergesse, dass sie seine Schwester ist und den ganzen Kummer mit ihm geteilt hat.
»Hm … Mir scheint, Sie haben einen Stein bei ihm im Brett.«
Ich verspüre den überwältigenden und tückischen Drang, ihr von den Knochen auf dem Black Patch zu erzählen. Was würde sie
Weitere Kostenlose Bücher