Was Paare stark macht
Ohrfeige.
Ein Ereignis im grösseren Rahmen zu sehen, kann zwar helfen. Auch emotionale Distanz zu gewinnen, ist nicht per se falsch. Aber diese Art der Bewältigung gehört nicht an den Anfang einer «Krisensitzung». Zuerst stehen emotionale Aspekte im Vordergrund, und die sind für den Hilfesuchenden sehr real und vielleicht sogar dramatisch. Wenn nämlich – wie ab Seite 100 beschrieben – ein persönliches Schema aktiviert wurde, hat die betroffene Person allen Grund, starken Stress zu erleben. Niemand hat dann das Recht, dieses Erleben als falsch und die Situation als «nicht so schlimm» zu bezeichnen. Zwar mag es stimmen, dass der Vorfall selber vielleicht banal war. Doch wird durch ihn ja erst das relevante Schema ausgelöst – und dies ist meistens schmerzhaft.
Zuhören und Verständnis zeigen sind die beste Unterstützung für den Partner.
Wenn uns die Reaktion des Partners ein Rätsel ist
Verständnis haben und mitfühlen – das sagt sich so leicht. Doch manchmal ist es gar nicht so offensichtlich und leicht nachvollziehbar, was den Partner wirklich bewegt. Folgendes Beispiel zeigt, weshalb.
Hannes…
…arbeitet als Oberarzt in einem Spital. Als er eines Morgens mit dem Velo zur Arbeit fährt, verweigert ihm ein schnittiger Sportwagen den Vortritt. Es kommt zur Kollision, Hannes stürzt.
Er erleidet Schürfungen und Prellungen, blutet aus dem Mund, ist aber sonst glücklicherweise nicht schwer verletzt. Der Automobilist steigt aus seinem Wagen und beschimpft Hannes, weil er vermutet, sein Auto habe nun Kratzer und Beulen. Er geht weder auf Hannes ein, noch entschuldigt er sich – ja, er kümmert sich nicht einmal um die Verletzungen des gestürzten Mannes, sondern hat nur seinen Wagen im Sinn. Hannes, ein gestandener Mann und erfolgreicher Arzt, bleibt am Boden sitzen, den Tränen nahe. Er ist so perplex, dass er sich überhaupt nicht wehrt und die Tirade des Autofahrers einfach über sich ergehen lässt.
Am Abend hat er Mühe, zu Hause vom Vorfall zu erzählen. Seine Frau Lisa erkundigt sich zuerst nach seinen Verletzungen. Sie ist aufgebracht wegen der Unverfrorenheit des Unfallverursachers, aber auch irritiert über die Niedergeschlagenheit ihres Mannes. Sie möchte ihn aufbauen und sagt: «Warum bist du überhaupt traurig? Es ist doch eine Frechheit, was passiert ist. Du solltest doch wütend sein!» Hannes fühlt sich von seiner Frau unverstanden und allein gelassen. Noch Wochen späterbelastet ihn der Vorfall, bei dem er ungerecht behandelt worden war, sich wie ein kleiner Schulbub gefühlt hatte und bei dem er seiner Meinung nach das Gesicht verloren hatte. Seiner Frau erzählt er nichts davon.
Der Vorfall und der Austausch darüber bleiben unbefriedigend, und zwar nicht nur für Hannes, sondern auch für seine Frau Lisa. Für ihn, weil er nicht die Unterstützung gefunden hat, die er von seiner engsten Vertrauten erwartet und benötigt hätte. Für Lisa, weil sie sehr wohl merkt, dass sie ihrem Mann nicht wirklich helfen konnte, dass sie ihn nicht verstanden hat und ihm dadurch in dieser schwierigen Situation auch nicht nah sein konnte.
Was ist schiefgegangen?
Hannes und Lisa haben es bei der Bewältigung dieser Situation verpasst, sich im Trichter des Erlebens (siehe Seite 100) auf die unteren Ebenen vorzuwagen und auf die effektiven Gründe für den Stress von Hannes einzugehen.
Statt über die tiefer liegenden Gefühle zu sprechen, die durch das Erlebnis ausgelöst wurden, haben beide die oberste Ebene der sachlichen Beschreibung kaum verlassen. Das Paar bleibt beim Unfallhergang und dem Verhalten des Unfallverursachers haften und es gelingt ihm nicht, darauf einzugehen, was diese Situation für Hannes ganz persönlich bedeutet hat und weshalb sie für ihn so schlimm war.
Hannes hat es verpasst, zu formulieren, was ihn am Verhalten des Unfallverursachers gestört hatte und was ihn nachhaltig weiterbeschäftigte und plagte: nämlich die Tatsache, dass er wie ein kleiner Schulbub behandelt und nicht ernst genommen wurde. Dass ihm während der ganzen Situation, obwohl er ja eigentlich im Recht gewesen wäre, jegliche Gleichwertigkeit abgesprochen wurde. Dass der Unfallverursacher nicht einmal den Anstand hatte, ihn nach seinen Verletzungen zu fragen, sondern sich nur um sein Auto gekümmert hatte. Hannes war zutiefst gekränkt und traurig darüber,wie mit ihm umgegangen worden war, und er fühlte sich klein und machtlos. Er schämte sich zudem, dass er nicht den Mut gehabt
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