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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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aber bietet mir an, mit seiner Truppe bis Queenstown mitzufahren. Das kann ich kaum ausschlagen. Wer weiß, wie lange ich sonst hier festhänge. Am Ende verpasse ich noch mein Flugzeug.
    Der Bus kommt mir nach drei Tagen Nässe und Wildnis wie ein Luxusresort auf Rädern vor. Der Reiseleiter heißt Anton, und er stammt tatsächlich aus Tirol. Ansonsten hat er keinerlei Ähnlichkeit mit dem berüchtigten Bierzeltmusiker. Dieser Anton ist hager und etwas verwittert. Sein dünnes, langes Haar lässt ihn wie einen in die Jahre gekommenen Junkie aussehen. Hoffentlich gibt es über die Frisur anschließend nicht Beschwerden. Ich sitze neben ihm, weit hinten im Bus.
    »Du klingst aber gar nicht wie ein Ösi, Anton.«
    »Den Akzent hab ich mir abgewöhnt, als ich in Australien gelebt habe. Jeder hat mich auf Arnold Schwarzenegger angesprochen, jeder! Ich war’s leid.« Er lacht auf. »Jetzt klinge ich wie ein Piefke. Aber für euch Deutsche sind wir immer die kleinen Cousins, die ihr nicht ernst nehmt. Das drollige Völkchen mit Dialekt.«
    Und ich dachte immer, so fühlten sich die Ossis. Bei mir herrscht Hackordnungschaos.
    Ein älterer Mann aus der Truppe dreht sich zu Anton um und ruft über die leeren Bankreihen: »Was ist das da draußen?« Er zeigt auf einen Berghang mit Wasserfall.
    »Das ist Mount Weatherston«, ruft Anton zurück, ohne aus dem Fenster zu schauen, »höchster Berg der Umgebung, 877 Meter.« Und leiser, zu mir: »Manchmal sag ich auch ›Mount Tamapuku‹. Die Deutschen wollen’s immer so genau wissen, da gehen mir irgendwann die Fakten aus. Man muss sich halt einfach was ausdenken.«
    Der Mann, der gefragt hat, murmelt ›Mount Weatherston‹ in ein Aufnahmegerät.
    »Der überprüft das«, sage ich. »Anton, das gibt Ärger.«
    Er seufzt auf.
    »Alle paar Meter wollen sie ein Schaf fotografieren. Nach einer Woche sind sie immer noch nicht entspannt, und wenn das Wetter nicht mitspielt, wird nur noch gemosert. Alles muss organisiert sein. Um Punkt sechs Uhr morgens stehen sie mit gepacktem Koffer neben dem Bus. Und am liebsten würden sie schon vor Abflug wissen, neben wem sie auf dem Rückflug sitzen.«
    Er zieht ein Tabakpäckchen heraus und fängt an zu rollen.
    »Die Nordinsel war diesmal nur Stress. Die Hälfte der Leute wollte in Rotorua kein Maori-Konzert mit Hangi buchen. Meinten, sie hätten das ja alles schon in Südafrika bei den Zulus gesehen. Und die anderen weigerten sich bei der Aufführung im Agrodome, auf die Bühne zu kommen und mitzumachen. Stellten sich richtig an. Sie kommen einfach nicht so gerne aus sich raus, die Deutschen.«
    Er leckt das Papierchen.
    »Aber das Beste war, dass einer der Zuschauer so komisch blöde gelacht hat. Der hat wohl noch nie einen Haka gesehen, mit Zunge rausstrecken und Augen rollen, na du weißt. Das fand der Tänzer aber nicht so lustig. Er war wohl beleidigt. Der sprang ins Publikum und gab dem Mann mit der Faust eins auf die Nase.« Anton schüttelt den Kopf und steckt das Tabakpäckchen in seine Brusttasche. »Wir mussten Anzeige erstatten. Ein Riesentheater.«
    Unser Bus hält plötzlich an. Im Straßengraben steckt ein hellgrüner Bus zwischen zwei hohen Farnen fest. ›Kiwi Experience‹ steht in gelb auf der Seite des Fahrzeugs. Anton schaut aus dem Fenster.
    »Aha, der Fuck Truck!«
    »Na, du kennst dich ja aus.«
    »Ach, für die habe ich vor Jahren mal gearbeitet. Sind alles junge Leute, die da mitfahren, mit Stecker in der Nase und Stöpsel im Ohr. Die wollen nur vögeln und saufen. Da interessiert sich keiner für Merinoschafe oder wie hoch der Berg dahinten ist. Nichts. Starren alle nur auf ihr Handy oder Laptop.« Er fährt sich durch die langen, schütteren Strähnen. »Glaub mir, das kann dir auch ganz schön schnell auf die Eier gehen.«
    Einige Touristen sind aus dem Bus gestiegen, Anton hinterher. Doch die Gefahr, dass seine Schäfchen verloren gehen, besteht nicht, denn die Gäste haben sich um den Bus gestellt. Egbert, oder ist es Klaus, filmt die Aktion mit seiner Videokamera. Dem Mann, der darunterliegt und etwas zu befestigen versucht, gibt er nebenher kluge Ratschläge. Das kommt sicher gut an, denn Kiwis lieben es ganz besonders, wenn man ihnen sagt, wie sie etwas tun sollen. Vor allem wenn es Touristen sind, die nur Autobahnen kennen, aber keinen Werkzeugkasten von innen. Ganz zu schweigen davon, dass man gegen ihre Väter einst als Kanonenfutter für England in den Krieg zog. Kiwis, um mal bei den Verallgemeinerungen
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