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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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Bungeebrücke, wo aus dem Absprung per Gummiseil erstmalig auf der Welt ein Geschäft wurde. Dietmar Sägel lenkt den Wagen in die Einfahrt von AJ Hackett Bungee. Er macht den Motor aus und zieht etwas aus der Tasche.
    »Ich habe noch einen kleinen Gutschein. Zu zweit macht’s mehr Spaß.« Er zwinkert verschwörerisch. Das Ganze riecht schwer nach Überrumpelungsaktion. Ich bin platt.
    »Hättest du nicht Tamara mitnehmen können?«
    Er hält mir zwei Freikarten hin. Ich soll also mit ihm von der Brücke springen.
    »Nee, mein Mausi traut sich doch nichts. Sorry, aber dafür muss man schon abgehärtet sein.« Er räuspert sich. »Dass du dir hier ein neues Leben aufgebaut hast, ohne eine Redaktion im Rücken, alles ganz fremd, und mit Familie und so – Respekt. Wirklich klasse. Imponiert mir. Wollte ich dir schon längst sagen.«
    Was für ein Geständnis. Ich dachte, für Ditze ist jeder ein Versager, der nicht drei Exklusivstorys pro Woche auftut und mit allen Senderchefs per Du ist. Es bleibt bis zur letzten Stunde spannend mit meinem Kollegen. Und ein Sprung aus 43 Meter Höhe schlägt einen Kaffee in der Flughafenhalle um Längen, auch wenn mich nichts, aber auch gar nichts in den Abgrund zieht. Vom Parkplatz aus höre ich das Wasser unten in der Schlucht rauschen. Ich stammele etwas vom Dreimeterbrett im Schwimmbad, das ich immer gehasst habe, und selbst vom Fünfer bin ich noch nie, und überhaupt, aber er hört gar nicht richtig zu.
    »Du wolltest doch was über mein Buch wissen«, sagt er beim Aussteigen, schiebt sich die Sonnenbrille ins Haar und kickt die Autotür mit seinem Cowboystiefel zu. »Ich verrate dir, worum es geht. Bleibt aber unter uns.«
    Sein Blick wandert Richtung Berge. All die Natur scheint auf ihn wie ein Beichtstuhl zu wirken.
    »Ich plane einen Bildband über Auswanderer. Alle Leute nackt, egal wo, aber am besten im Freien. Habe auch schon einen Titel: ›Ich bin so frei‹. So komm ich auch mal um die Welt.«
    Er grinst. Was hatte ich erwartet – dass das gefürchtete Boulevardschwein in einer Anwandlung von Gutmenschentum die Spuren jüdischer Emigranten im Zweiten Weltkrieg verfolgt? Ditze macht eine Kunstpause.
    »Also, in Auckland gibt’s zum Beispiel eine Swinger-Bar, die macht ein Pärchen aus dem Sauerland. Da schaue ich nächste Woche vorbei.« Er sagt das betont beiläufig, aber triefend vor Insiderwissen. Wieder ganz der alte Konkurrent. »Na, aber wem erzähl ich das – dir als Auslandskorrespondentin .«
    Ich kenne das Etablissement nicht, und das sieht man mir unschwer an. Ditzes Lächeln ist jetzt gönnerhaft, mit einem guten Schuss Oberwasser.
    »Sag Bescheid, wenn du mal die Nummer brauchst, okay?«
    AJ Hackett Bungee ist wie ein Discotempel bei Tageslicht. Viel Beton, kühles Design, bunte Neonleuchten, heiße Musik. Eine breite Wendeltreppe führt in den Verkaufsraum, wo sich T-Shirts im Sonderangebot auf den Tischen stapeln und Drum’n’Bass in ohrenbetäubender Stärke aus den Boxen hämmert. Dietmar regelt das Geschäftliche. Ich muss auf eine Waage steigen. Die Bungeeverkäuferin malt mir das Gewicht mit einem roten Filzschreiber auf die Hand. Okay, ich trage heute aber auch besonders schwere Schuhe, das sieht ja wohl jeder.
    Auf dem Verkaufstresen ist eine Liste mit zwölf möglichen Beschwerden aufgeklebt, bei denen man nicht springen soll, von Epilepsie über Schwangerschaft bis Bluthochdruck. Meine Leiden sind leider nicht dabei – Sägeltrauma und akutes Deutschdilemma.
    »Letzte Zigarette, Dietmar?«
    Wir treten raus auf die Sprungbrücke. Etwas tiefer ist die Aussichtsplattform, von der aus man das Spektakel beobachten kann. Ein paar Meter geradeaus von uns ist die Abschussrampe aus Holz und Stahl. Dort warten bereits zwei Bungeebetreuer. Sie winken uns heran. Ditze nimmt einen Schluck aus seinem Flachmann. Elektronische Beats knallen uns um die Ohren, um uns anzuheizen. Jetzt spüre ich die Adrenalinausschüttung. Ich bin übernervös, gleichzeitig ist mir alles egal. Das höhnische ›Auslandskorrespondentin‹ gerade eben, das saß. Wenn ich schon journalistisch solch eine Niete bin, will ich zumindest nicht als Extremsportlerin versagen.
    Man steckt mich in einen Klettergurt. Karabiner werden festgehakt. Wie ferngesteuert setze ich mich neben Sägel auf die Holzplanken. Ein blaues Frotteehandtuch wird um meine Knöchel gewickelt, ein schwarzes Seil darum geknotet. Wir prüfen, ob unsere Hosentaschen wirklich leer sind. Ich linse über die
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