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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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hinauskomplimentieren wollte, »er hatte tatsächlich noch ein Zimmer frei, weil jemand abgesprungen ist. Was ein Glück! Mein Zustand hatte sich ja so dramatisch verschlechtert.«
    Zustand verschlechtert? Sie muss dem mitfühlenden Jordan irgendeine Krankheitsgeschichte aufgetischt haben. Oder einiges an Bargeld.
    »Was gab’s denn zum Essen?«
    Ich kann immer noch den Knoblauch riechen.
    »Ach, nichts Besonderes. Gegrilltes Filetsteak in Rotweinsauce und Dauphinoise-Kartoffeln.«
    Sie kaut am letzten Happen ihres Pfannkuchens, dann winkt sie mich weg.
    »Ciao, und schlaf schön da unten in deinem Bettenlager!«
    Werde ich tun. Den Schlaf habe ich mir verdient.
    Es rumpelt. Jemand flucht. Ich öffne langsam ein Auge. Das Licht einer Stirnlampe blendet mich und flackert dann weiter übers Stockbett. Ich kann nichts sehen, aber höre unterdrücktes Keuchen. Es ist stockdunkel und eiskalt.
    »Wo ist denn Tamara?«
    Dietmar Sägel. Was macht der hier? Ich fische nach der Taschenlampe. Es ist fast zwei Uhr morgens. Sein Rucksack knallt auf den Boden. Er lässt sich aufs Bett mir gegenüber fallen.
    »Menschenskinder, langsam reicht’s.«
    Seine Haare sind feucht. Er muss sich den Berg hochgekämpft haben, mitten in der Nacht, im Regen. Ich murmele, dass Tamara im Haus nebenan unterm Federbett schläft. Aber warum ist er nicht mehr in seinem Zelt?
    »Diese Scheißviecher da unten. Nicht zum Aushalten.« Er keucht noch immer.
    »Sind da so viele Sandfliegen?« Jetzt sind meine Augen endgültig auf.
    »Nein, Possums! Die haben mich terrorisiert!«
    Er erzählt, was in den letzten Stunden passiert ist. Der Angriff aufs World Trade Center verblasst dagegen. Der Mann, der sich früher weder von einem pöbelnden Heiner Lauterbach noch zuletzt von einer baggernden Sonja Halverstamm aus der Ruhe bringen ließ, ist völlig mitgenommen. Zuerst fiel etwas auf ihn drauf. Etwas Schweres, Warmes, Fauchendes. Ich stelle mir vor, wie Ditze festgezurrt im Schlafsack mit Multiwarmkonstruktion lag, um sich die aufgeblasene Biwakwurst in Tarnfarben, und einzuschlafen versuchte. Das Possum landete genau auf seinem Kopf, nur durch eine dünne Schicht Polyester mit atmungsaktivem Polyurethan getrennt. Dann hörte er das Tier ständig ums Zelt laufen und einen Eingang suchen. Er trat danach. Es blieb. Also kroch er aus dem Zelt und trat im Dunkeln barfuß auf »fieses Stachelzeug«. Ich schätze, das war Stechginster. Der ist eine ähnlich unangenehme, eingeschleppte Umweltplage wie das Possum und verbreitet sich in schönster Natur wie die Pest. Unausrottbar.
    Ditze war in Fahrt. Er suchte zwischen Bäumen und Ginstergestrüpp nach einem Knüppel. Ein Kampf dreier landesfremder Spezies begann. Als er zurück zum Zelt kam, sah Ditze, dass jemand vor ihm drin gewesen war. Das Possum hatte den Proviant im Rucksack geplündert. Alle Power-Bar-Performance-Riegel waren weg. Das war zu viel. Erst der Überfall, dann der Einbruch. Ditze brach sein Zelt ab, genauer gesagt, er ließ die Luft raus. Possum und Ginster haben gesiegt. Und jetzt ist er hier.
    Ich drehe mich zur Wand um und versuche weiterzuschlafen. Es klappt nicht. Noch so eine Nacht, und mein Zustand verschlechtert sich ebenfalls dramatisch, genau wie bei Tamara. Noch so ein Besuch, und ich suche mir ein sicheres Drittland. Im Halbschlaf wabern Erinnerungsfetzen durch meinen Kopf. Mein Blumenstrauß an Margarethe Schreinemakers nach ihrer Entbindung, als Entschuldigung für die Anrufe im Kreißsaal. Fassbinder-Star Klaus Löwitsch, der mich am Apparat zusammenbrüllt. Die Pressereise zum ›Hotel am Wörthersee‹. Buffets, Saalwetten, Schlagerfuzzis. Dann taucht endlich Millie, das Schaf auf, und ich nicke weg.
    Als wir am nächsten Morgen die geheizte Lodge betreten, durch die der Duft von Toastbrot und frischem Kaffee zieht, begrüßt uns ein zerknirschter Jordan. Tamara sitzt auf einem Sofa, zerlaufene Mascara im Gesicht.
    »Sie wusste leider nicht, dass man hier die Schuhe nicht rausstellt. Die Keas …« Jordan bricht ab, sein Blick wandert vielsagend über den Steilhang vorm Panoramafenster. Dort lassen die Vögel gerne ihre Beute fallen.
    »Da bist du ja!« Tamara schluchzt auf und wirft sich in die Arme ihres Hasen. »Mein rechter Schuh ist weg. Ich kann keinen Schritt mehr laufen!«
    Dietmar Sägel tätschelt ihren Kopf. »Mausi, ich hol dich hier raus. Lass mich mal machen.« Er ist wieder Herr der Situation. Held der Camel Trophy, Herrscher über Prominentenschicksale,
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