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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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Handlanger halbseidener Gestalten. Bei unserem gemeinsamen Arbeitgeber galt die Devise: Geht nicht, gibt’s nicht. Es ließ sich immer noch irgendwie irgendwas herauskriegen. Bloß nicht mit einem ›Nein‹ abspeisen lassen. Jemand von Ditzes Kaliber wird es schaffen, in der tiefsten Wildnis einen Wanderschuh zu organisieren, da bin ich mir sicher. Ich setze mich zu Tamara, um sie zu beruhigen. Mit halbem Ohr bekomme ich mit, wie Dietmar Sägel mit dem gutmütigen Jordan verhandelt. »Filmproduktion«, höre ich, »Peter Jackson«, »Hauptdarstellerin«, »Millionenklage«. Jordans Züge verändern sich von beeindruckt über erschrocken zu beflissen. Er schnappt sich sein Walkie-Talkie und verschwindet. Ditze läuft ihm hinterher. Geht nicht, gibt’s nicht.
    Der Hubschrauber landet eine Stunde später. Eine kleine Plattform aus Kies ist zwischen Hütte und Wasserfall aufgeschüttet. Dort versammelt man sich, wenn ein Feuer ausbricht, hat uns der Hüttenwart gestern erklärt.
    Der Abschied ist filmreif. Sägel trägt seine Freundin auf den Armen unter den Rotorblättern entlang. Der Pilot ist ausgestiegen, schüttelt seine Hand und hält ihm die Tür zum Cockpit auf. Die Morgensonne spiegelt sich in seiner Fliegerbrille.
    »Willst du nicht auch mit?«, fragt mich Ditze. »Platz ist genug. Geht alles auf mich. Ach, und den Tag gestern, den kannst du mir als Infohonorar in Rechnung stellen.«
    »Nein, lass mal. Wir sehen uns noch in Queenstown. Ich laufe lieber weiter.«
    Er zieht ein alufarbenes Päckchen aus seinem Rucksack und wirft es mir zu.
    »Hier, nimm das. Notration.«
    Es ist Instant-Rotweinpulver, einfach mit Wasser zu mischen. Die Tür schlägt zu, die Rotorblätter drehen sich, und der Spuk ist vorbei.
                
    Seit ich die Heimat verlassen habe, versuche ich konstant, das Bild der Deutschen im Ausland am eigenen Beispiel zu verbessern: Beine rasieren, keine Sandalen mit Socken tragen, niemals Handtücher auf fremde Liegestühle legen und in der Öffentlichkeit nicht »Jawohl!« brüllen. Täglich unterdrücke ich mit allen Kräften den angeborenen Drang zum Beschweren und Korrigieren. Ich vermeide Diskussionen, FKK -Clubs und übertriebene Pünktlichkeit. Niemals gebe ich auf die Begrüßungsfloskel »How are you?« eine ausführliche Antwort. Jahrelange harte Arbeit an mir selbst – und dann reiße ich am Ende meiner ersten antipodischen Bergwanderung mit dem Hintern wieder ein, was ich vorne als Image so mühsam renoviert habe. Schuld ist die deutsche Rundreisegruppe.
    Gestern habe ich Schneefelder überquert und die Füße in den spiegelglatten Lake Harris gesteckt, obwohl er sich halb gefroren anfühlte. Ein Bach riss mich fast um. Meine Regenhosen hielten nur für eine Stunde dicht, dann war alles klamm. Manchmal war es grausam, meistens großartig. Ich musste mit niemandem reden und lief unter Wasserfällen und Bäumen durch, von denen saftig grünes Moos tropfte, während sich das Knäuel in meinem Inneren langsam entrollte. Hart erwanderte Weisheit: Man kann sein altes Land lieben und sich dennoch in ein neues verlieben. Das soll ja auch in Beziehungen funktionieren.
    Heute ging es bergab, mit einem kleinen Umweg über den Gipfel und 360-Grad-Blick. Und endlich: Da unten liegt die Endstation, mit Toilettenhaus und Infotafel. ›The Divide‹ heißt mein Ziel. Meine Hose starrt vor Dreck, meine Knöchel sind geschwollen, meine Schultern schreien nach einer Massage von Judy. Ich will eine richtige Dusche, keine Wasserfälle mehr von oben. Und Pizza, schöne knusprig-heiße Pizza.
    Meinen Transport zurück nach Queenstown habe ich für 12.30 Uhr bestellt. Es ist schon eins, aber kein Shuttlefahrer ist da. Dafür ist der Parkplatz komplett vom Stockgeschwader aus dem Newman’s-Reisebus bevölkert. So trifft man sich wieder. Deutsches Stimmengewirr. Hektisches Auf-und-Zumachen von Fototaschen. Jemand beklagt sich, dass es kein warmes Mittagessen gab. Es geht ans Einsteigen. Genauer, um die Sitzordnung. Um die besten Plätze wird wie im Kindergarten gezankt.
    »Also, Klaus, du warst doch auf der Hinfahrt schon vorne!«
    »Ja, entschuldige mal, Egbert, aber ich hab doch nicht die beste Videokamera von allen, um dann nur aus dem Rückfenster zu filmen!«
    Unmut macht sich breit. Der Reiseleiter schlichtet. Er ist wirklich nicht zu beneiden. Ich frage ihn nach meinem Transport, denn mein Handy hat so tief in den Bergen noch keinen Empfang. Er weiß auch nicht, wo der Shuttle bleibt,
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