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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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schmale Brüstung. Tief unter uns ist der Fluss, rechts von uns ragen steile Felsen hoch. Winzig klein dümpelt dort unten etwas am Ufer. Ein Schlauchboot. Ich nehme alles wie verzerrt wahr. Wir stellen uns nebeneinander hin.
    »Mit Eintauchen?«, fragt der Bungeemann. Ditze nickt. Ich nicke ihm nach.
    »Als Tandem?« Ditze nickt wieder und legt den linken Arm um meine Schulter. Ich packe meinen rechten Arm um seinen Rücken und rieche seine Zigarette von vorhin. Undenkbar, diese Kumpanei, wenn ich noch bei halbwegs klarem Bewusstsein wäre. Hüfte an Hüfte und Zentimeter um Zentimeter rutschen wir mit unseren gefesselten Füßen bis ganz an den Rand vor. Dann stellen wir uns hin. Ich kann nicht nach unten gucken. Ich starre nur geradeaus in den Himmel, der wackelt. Mein Blut hämmert zum Takt der Musik im Kopf.
    »Los, ihr zwei, kippt einfach langsam nach vorne. Jaaa, einfach kippen, super, ihr macht das, und looos!«
    Ist das alles, um unsere atavistischen Überlebensinstinkte auszuschalten, damit wir uns kopfüber in die Tiefe stürzen? Ja, das ist alles. Ich denke nicht mehr, denn ich kippe schon. Falle dem Himmel entgegen, den Wind im Gesicht, den Schrei aus meinem Hals lassend und meine Hand fest ins Jeanshemd von Dietmar Sägel geklammert.
    »Jiiiiiiiihaaa!«
    Ich brülle alles raus. Die Spießer im Bus, die Tussi von Tamara, die Kanadier am Kamin und die Nazi-Clowns beim Oktoberfest. Sogar Millie, das Pinkelschaf. Dann klatscht mir eiskaltes Wasser ins Gesicht. Es ist die reinste Schocktherapie. Wieder fliegen wir hoch, wieder stürzen wir hinab. Zwanzig Sekunden hat der Spaß gedauert.
    Glück und Adrenalin rauschen in seliger Zweisamkeit durch meine Adern. So müssen sich richtig gute Happymacher anfühlen, direkt nach dem besten Orgasmus des Lebens. Dietmar Sägel plumpst neben mir ins Schlauchboot.
    »Geil, geil, geil!«, ruft er. »Mann, war das geil!«
    Was ich von mir gebe, klingt auch nicht intelligenter. Wir lachen und brabbeln wie zwei Kinder beim Geschenkeauspacken unterm Weihnachtsbaum. Den Fußweg von der Schlucht nach oben zum Parkplatz laufe ich in einem hellwachen, überdrehten Zustand. Alles leuchtet intensiver, klingt schöner, duftet stärker. Ich bin bis in jede Körperfaser hinein lebendig.
    Beim Einsteigen in Ditzes Auto überfällt mich wieder der Geruch. Jetzt erkenne ich ihn. Es ist das Deospray. Die Sorte von damals aus der Schreibtischschublade. Was soll ich sagen: Man kann sich daran gewöhnen.

      [Menü]      
    Mariechen saß weinend im Garten
    DAS SCHÖNSTE AN meiner Landung in Christchurch ist, dass Lukas und die Jungs in der Ankunftshalle stehen. Otto hat eine neue Zahnlücke und hält Blümchen in der Hand, die einen Streifzug durch Judys Garten vermuten lassen. Ich vergrabe mein Gesicht in Lukas’ altem Cordjackett und könnte glatt heulen, so gut fühlt sich das an.
    Das Zweitschönste ist, dass neben uns ein paar Leute zu stampfen und brüllen beginnen. Eine Gruppe von Jugendlichen, weiß und braun, in Surfshorts und Basecaps, macht einen Haka, dass die Luft zwischen Handgepäckkontrolle und Zeitschriftenladen bebt. Mit der spontanen Showeinlage begrüßen sie ihren Freund, der gerade durchs Gate kommt und sehr gerührt ist. Jakob sieht man an, dass er am liebsten mitgestampft hätte. Ein letzter Brüller im Chor, dann klatschen sie sich gegenseitig die Hände ab: Gib mir fünf – high five, mate! Mein heimlicher Mentor Haki Waiomio wäre stolz auf sie.
    Aber das Allerschönste ist, dass wir draußen nicht in unser Auto steigen, sondern in ein rollendes Hexenhaus. Lukas hat tatsächlich einen alten Housetruck gekauft. Als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk und zukünftige Ferienunterkunft an der West Coast, denn dort zieht es so ein Hippiemobil naturgemäß hin.
    Die Taxis am Flughafen versuchen, um das Trumm herumzumanövrieren. Ich stehe davor und bin hingerissen. Der Unterbau des Hauslasters ist ein weinroter Bedford, Jahrgang 1956, auf den jemand in den 80ern einen sechs Meter langen Kasten mit bunten Fenstern und braunen Holzschindeln gesetzt hat. Niemals würde solch ein drolliger Ökowohnwagen mit improvisierter Außendusche und Schornstein in Deutschland zugelassen werden. Innen ist alles liebevoll mit Holz ausgebaut. Der zweite Stock besteht aus zwei Alkoven, mit Stockleiter zu erreichen. Die Jungen haben einen davon als Kinderzimmer deklariert und behaupten, für ein Lamm sei auch noch Platz. Lukas zeigt mir das Logbuch, in dem die Reparaturen und
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