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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Autoren: Anke Richter
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unter ihrem Tschador gezogen hat. Aber anstatt mir vorzuschlagen, mich woanders abzureagieren, sagt sie nur: »Nick freut sich sicher, wenn ich ihm bald beim Packen helfe.«
    Es ist nicht nur ein höflicher Rausschmiss. Es ist das Ende meiner ersten neuseeländischen Freundschaft. Man kritisiert einander nicht. Meinungsverschiedenheiten sind im Kiwi-Kosmos nicht vorgesehen. Wem etwas zwischenmenschlich nicht passt, der zieht sich lieber zurück oder bespricht es mit jemand Drittem. In Deutschland dagegen gelten solche Ausweichmanöver als oberflächlich und geheuchelt – so verwerflich wie nicht korrekt getrennter Müll. Alles muss zu jeder Zeit auf den Tisch, egal wie konfrontativ. Jetzt ist diese Regel nach dem gleichen Naturgesetz, das das Wasser auf der Südhalbkugel andersherum drehend in den Ablauf laufen lässt, auf den Kopf gestellt. Was ich in meiner alten Heimat als Tugend kannte, ist in meiner neuen eine Unsitte. Ich hab’s vergeigt, aber richtig.
    Als ich Judy am nächsten Tag in ihren alten Kombi steigen sehe, bilde ich mir ein, dass sie mich auch gesehen hat, aber nicht grüßt. Auch Nick guckt so komisch weg. Um mich herum nichts als Menschen, die ein Problem mit mir haben. Nur die zerzausten Kinder mit den Apfelbäckchen winken noch wie früher von der Veranda. Das macht mich umso trauriger. Das Land der langen weißen Wolke hat eine lange graue Wolke dazubekommen.
    »Warte mal ab«, sagt Eva und versorgt mich in ihrer Küche mit Roibuschtee. »Irgendwann passiert was, ein Erdbeben zum Beispiel. Du wirst sehen, wenn es hart auf hart kommt, dann ist Judy sofort wieder für dich da.«
    Ich will aber nicht darauf hoffen, dass sich erst die tektonischen Platten am pazifischen Graben verschieben und wirklich ein Tsunami auf Lyttelton zurollt, damit meine nette Nachbarin in der Not ihren Frieden mit der ungehobelten Deutschen macht.
    »Ich glaube, ich werde immer wieder anecken.« Ich puste in meinen Tee. »Wenn es hart auf hart kommt, dann merke ich, wie anders ich doch ticke.«
    Eva nickt und sortiert ihre Teedosen. Roibusch mit Chai-Geschmack, Roibusch mit Fejoia, Roibusch Vanille und grüner Tee mit Ingwer.
    »Am Anfang ist alles so easy. Die Sprache versteht man, das Klima ist ähnlich, vieles erinnert an Europa. Alle sind freundlich und hilfsbereit. Das wiegt dich in falscher Sicherheit.«
    Jetzt zieht sie den Johanniskrauttee hervor. Ist das nicht so was wie ein Antidepressivum?
    »Aber dann kommt der Kulturschock mit Verspätung aus dem Hinterhalt. Dann merkst du erst, dass du trotz der Nettigkeiten noch lange nicht dazugehörst. Oder es nie tun wirst.«
    Was ich Eva vorjammere, hat sie auch durchgemacht. Wir müssen internationaler werden. Kiwikompatibel. Südhalbkugeliger. Und trotzdem ist da etwas, an dem wir festhalten. Das wir nicht verlieren wollen. Nicht das, was die Bierzelt-Engländer mit ihren Plastikpickelhauben für deutsch halten. Auch nicht das Vorzeigeprogramm des Goethe-Instituts. Sondern unsere Brutstätte, mit all ihren Abgründen, Stärken und Schwächen. Kaputt und kantig, geistreich und gruselig, intelligent und idiotisch.
    »Bald kommt’s noch so weit, dass du deine Heimat verklärst«, sagt Eva.
    Ich nicke und schlürfe vom Tee.
    »Ja, nichts stimuliert den eigenen Patriotismus so, wie sein Land ständig gegen Vorurteile verteidigen zu müssen.«
    »Wart mal ab, bis du wieder nach Deutschland kommst. Dann bist du nämlich geschockt, was sie dir dort alles sofort an den Kopf knallen in ihrer unverblümten Art«, sagt Eva. »Fahr mal U-Bahn oder geh zu Lidl. Da wirst du sofort zum Kiwi und wunderst dich, warum alle so aggressiv sind. Und wehe, du hast nicht zu allem sofort eine politische Meinung.«
    »›Nicht gemeckert ist genug gelobt‹ – so heißt das doch in Berlin, oder?« Kleiner Gruß an Jörg.
    Eva lacht und wühlt dabei im Küchenschrank. Eine Tüte Haribo landet vor mir auf dem Tisch. Ihre eiserne Reserve. Ein schwacher Trost, aber immerhin. Ich greife in die Lakritzmischung und kaue vor mich hin. Über dem Küchenregal hängt ein neues Bild. Seit Neuestem interessiert Eva sich für moderne Kunst. Eigentlich ist es nur ein Spruch, mit kräftigem Strich gepinselt. Drumherum räkeln sich ein paar Korukringel.
    »He kokonga whare, e kitea; he kokonga ngakau, e kore e kitea«, lese ich stockend vor. »Übersetz mal, Expertin.«
    »›Die Ecken des Hauses kann man einsehen, aber nicht die Winkel des Herzens‹.«
    Das kam wie aus der Pistole.
    »Hübsch. Wer hat
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