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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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irgendeiner Fernsehschauspielerin gewesen sein, deren Ultraschallbilder letztens im Blatt waren.
    »Sie schicken uns ein Foto aus dem Kreißsaal? Während sie pressen? Super! Wir bringen es exklusiv.« Ein Hüsteln. »Natürlich lassen wir es aussehen wie ein Paparazzibild. Der Kopf muss aber zu erkennen sein.« Kurze Pause. »Klar, fünfhundert Mark für Sie, abgemacht – auf Ditze ist Verlass.« Ein öliges Lachen. »Ich weiß, Sie werden das Honorar für einen guten Zweck spenden. Das Kindermodelhilfswerk? Wunderbare Charity. Darüber bringen wir auch noch mal was, ist abgemacht. Wir arbeiten schließlich zusammen.«
    Jetzt triefte seine Stimme vor toxischem Schleim. Ich musste gleichzeitig den Drang bekämpfen, mich spontan in den Papierkorb zu übergeben und Dietmar Sägel sein Deospray in den Mund zu stopfen.
    Es war Zeit, zu kündigen. Katastrophen anderer Art warteten, auch auf den gefürchteten Ditze: Ihn warb die KREIS -Zeitung ab. Seitdem habe ich nie mehr etwas von ihm gehört, nur seinen Namen über all den Skandalstorys gelesen. Warum jetzt plötzlich Grüße?

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    Muss i denn, muss i denn
    »ES TUT MIR SO LEID«, murmele ich. Das Krokodil ist wieder bei uns und schaut vom Billy-Regal herunter. Seine Schuppen sind staubig, die Augen trüber denn je. Bilde ich mir das ein, oder riecht es giftig? Was macht man nicht alles durch, um in dieses schöne Land zu kommen.
    Was ich gerade durchmache, nennt sich ›schlechte Phase‹. Das Tief nach dem Anfangshoch. Das Meer unten im Hafen ist trüb, die Vögel zwitschern matt und im Posteingang ist nur Spam. Kein Redakteur schreibt zurück, kein Telefon klingelt. Große, lähmende Leere. Vergessen vom Rest der Welt. Baxters Renovierungsarbeiten sind seit gestern beendet, und die Schule ist erst um drei Uhr aus. Fünf Stunden noch. Nicht mal mein Lieblingscafé mit der sarkastischen Claude kann mich locken. Ich starre auf die frisch lackierten Fußleisten in der Küche und grübele, ob grau nicht besser gepasst hätte als weiß. Ist das der Anfang des berüchtigten Hausfrauensyndroms? Da hat sich die ganze Auswanderungsaktion aber gelohnt.
    Lukas rät mir als Depri-Prophylaxe, mal mehr unter »Leute aus meinem Bereich« zu kommen. Am Schreibtisch daheim fällt mir die Decke auf den Kopf. Außerdem habe ich gerade eine Reportage auf Englisch an ein Magazin in Auckland verkauft. Vielleicht lässt sich da noch mehr machen. Ich habe auch Ideen fürs neuseeländische Fernsehen. Von meinem ersten Treffen mit einem Kiwi-Kollegen verspreche ich mir nicht nur therapeutische Wirkung, sondern auch weitere Kontakte.
    »Und, wie gefällt Ihnen Neuseeland?«, fragt mich der in die Jahre gekommene Fernsehreporter, mit dem ich vielleicht in ein Büro ziehen will. Ein angenehmer Mensch. Freundlich, gelassen und professionell, ohne die zur Schau gestellte Getriebenheit deutscher Fernsehfritzen. Außerdem irritiert es ihn kein bisschen, dass Otto ihm die Zuckertütchen von der Untertasse klaut. Geschweige denn, dass mein Sohn bei diesem Nachmittagstermin dabei ist – ziemlich undenkbar bei Wichtigtuern und Karrieremenschen in Hamburg oder Berlin.
    »Neuseeland gefällt mir richtig gut, echt klasse!« Ich zwinkere ihn gut gelaunt an. »Na ja, bis auf so manches Essen …«
    Ein überdimensionales Fettnäpfchen manifestiert sich aus dem Nichts zwischen unseren Caféstühlen. Claude oder Liam müssen es dort heimlich hingestellt haben.
    »Ach ja, welches Essen?«
    Noch lächelt er. Kopfüber falle ich vom Sitz in den Napf, dass der Talg nur so spritzt.
    »Na, Lamingtons zum Beispiel.« Ich schüttele mich leicht mit gespieltem Ekel. »Einfach scheußlich!«
    Der Lamington ist ein keksgroßer, quietschrosa Kuchenwürfel mit Kokosraspeln, aus schaumstoffähnlicher Konsistenz und gemeingefährlich süß. Er ist für Neuseeland so archetypisch wie die Kirschtorte für den Schwarzwald, wenn auch über die Grenzen Aotearoas hinaus aus gutem Grund nicht ganz so berühmt.
    »Ach, wirklich?«
    Mein Gegenüber lächelt weiter. Aber sein Blick spricht Bände – als ob ich gerade behauptet hätte, dass seine Schwester die größte Hure von Christchurch sei. Oder noch viel schlimmer: Als ob seine Mutter die ganze Nacht in der Küche gestanden habe, um mir persönlich hausgemachte Lamingtons zu backen, die ich jetzt vor ihm ausspucke. Ich hätte das Kleingedruckte auf dem Einreiseformular lesen sollen: ›Don’t mention the food.‹
    Es gibt nichts mehr zu sagen.

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