Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
wie Birgit Schrowange spricht, wenn kein Teleprompter läuft, kannte Frank Elstners Glasauge aus nächster Nähe und hatte Roy Black volltrunken erlebt. All das war genug, um dem Schicksal zu danken, dass man nicht berühmt geworden war. Und zu bereuen, dass man nichts Anständiges gelernt hatte.
Ditze, wie meine Kollegen und seine halbseidenen Informanten den Neuzugang nannten, teilte sich mit mir das Redaktionszimmer. Mich siezte er eisern, um zu unterstreichen, dass ich ihm nicht das Wasser reichen konnte. Ditze trug Tennissocken und einen Schnäuzer, der ihn älter machte. Mit Mitte zwanzig fuhr er bereits einen dicken Mercedes. Beim Telefonieren legte er gerne die Füße auf den Tisch. In der Brusttasche hatte er stets ein paar Hundertmarkscheine, zusammengerollt, aber sichtbar.
Dietmar Sägels satte Ruhrpottstimme dröhnte permanent in den Hörer. Handys und Internet benutzte damals noch niemand. Recherchieren hieß nicht googeln, sondern zum Hörer greifen, und zwar so lange, bis irgendjemand einknickte. Der sonore Ton wiegte Sägels Gesprächspartner in falscher Sicherheit und nötigte ihnen gleichzeitig Respekt ab. Witwenschütteln war Ditzes Spezialgebiet. Als der Schauspieler Gerd Fröbe starb, da rief mein unerschrockener Kollege sofort bei Fröbes Frau an. Woher hatte er bloß immer all die Privatnummern – bezahlte er dafür in bar? Nach einer schleimigen Beileidsbekundung arbeitete Sägel sich schnell zur Sache vor, bevor die überrumpelte Frau auflegen konnte.
»Frau Fröbe, Ihr Mann war schließlich eine öffentliche Figur – da sind Sie doch weiß Gott verpflichtet, für die Nachwelt Auskunft über die genauen Umstände seines Todes zu geben. Denken Sie an die Fans, an das Publikum!«
Goldfingers Leiche war noch keine 24 Stunden kalt, da musste Karin Fröbe sich drohen lassen, zu »kooperieren«, weil ja »in der Ehe auch nicht alles so rosig lief, wie Sie und ich wissen. Denken Sie an unsere Auflage.« Der alte Trick funktionierte, selbst bei einer Ehefrau Nummer fünf. Sie lenkte erschrocken ein.
Als Dietmar Sägel meinen ungläubigen Blick sah, zog er seelenruhig ein Deospray aus der Schublade und nebelte seine hochgelegten Tennisfüße ein. Wahrscheinlich hätte er auch mich gerne weggesprüht, vorausgesetzt, er wäre dann an meine Geheimnummern gekommen. Mein goldenes Notizbuch – eigentlich ein weißes Rolodex, das ich abends wegschloss – war zwar nicht so prall gefüllt wie seines, aber ein paar Direktzugänge zu den B- bis D-Promis hatte ich mittlerweile auch aufzuweisen. Immerhin hatte mich Margarethe Schreinemakers persönlich angerufen, um mir mitzuteilen, dass sie schwanger sei. Als Dietmar Sägel das am Nachbarschreibtisch mithörte, lächelte er mich zum ersten Mal semifreundlich an. Ich war vom Stadium der Showamöbe in das des Kriechtiers aufgestiegen. Bis auf seine weißen Socken, sein großkotziges Auftreten und die Dreistigkeit, mit der er Stars, Sternchen und Hinterbliebene drangsalierte, stand unserer Zusammenarbeit eigentlich nichts im Wege.
Nach drei Jahren und gefühlten zweitausend Telefonaten wusste ich mehr, als mir lieb war über Menschen, die ebenfalls keinen anständigen Beruf gelernt hatten und daher unser Blatt mit ihren Trennungen, Outings, Affären, Fehlgeburten, Entzugskuren, Brustkrebsoperationen und Rausschmissen aus der Lindenstraße füllten. Dschungel-Camp-Shows gab es damals noch nicht, auch ›Big Brother‹ war in weiter Ferne. Die öffentliche Schockgrenze lag noch bei Erika Berger, die vor der Kamera Sextipps gab – gesegnete Zeiten. Die Namen und Serien änderten sich im Laufe der Jahre, der Rest blieb gleich: Je unbedeutender der ›Künstler‹, wie Schlagersänger und Soapnebendarsteller von ihren Agenten stets genannt werden, desto größer der Drang, sich für die Leser bis auf den Gebärmutterhals zu entblößen. Der Grad an Zickigkeit und Dünkel verläuft diametral entgegengesetzt zur tatsächlichen Bedeutung für das Weltgeschehen. Er wird verschärft durch sogenanntes Medientraining, das besagte Manager ihren Schäfchen andienen. Wer keine drei Sätze geradeaus denken kann, soll zumindest so inhaltslos daherplappern können wie Heidi Klum. Das ist mehr, als ein junger Mensch mit journalistischen Idealen verkraften kann. Eigentlich hatte ich mal Kriegsreporterin werden wollen, aber nun schlug ich mich mit der Frage herum, ob Thomas Gottschalk ein Toupet trägt.
Es muss nach dem 417. Geplänkel von Dietmar Sägel mit
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