Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
meine Füße. Jede Dreiviertelstunde schrillt eine Glocke. Es ist eng an den kleinen Tischen, aber wir sind auch nur wenige. Meine Mitmigranten stellen sich vor: Ein junger Koreaner namens Kim. Eine Familie mit halbwüchsigen Kindern aus Schottland, blond und käsig, die in ihren pastellfarbenen Wetterjacken wie eine Großpackung Toastbrot anmutet. Eine Kenianerin in einem knallbunten Gewand. Und eine Deutsche. Automatisch studiere ich sie genauer als die restlichen Mitschüler. Dieses Abchecken meiner Landsleute hat etwas Panisches: Wie typisch deutsch sehen sie aus? Wie peinlich kommen sie rüber? Könnte irgendetwas an ihnen wie eine ansteckende Krankheit auf mich abfärben? Da hilft, wie bei der Schweinegrippe, nur: Distanz wahren.
Die Frau ist größer als ich, athletisch gebaut, wahrscheinlich Mitte Dreißig, hat viele Sommersprossen und ein paar ernste Stirnfalten. Unten trägt sie orangefarbene Crocs, in der Mitte ein T-Shirt mit einem aufgedruckten Kakapo, dem grünen Eulenpapagei, und oben dunkelrot gefärbte Dreadlocks, was mit den Plastiktretern harmoniert. Auf ihrer Brust baumelt ein Anhänger aus Jade – traditioneller Maori-Schmuck. Ihre Ohrringe sind aus Paua, der türkis schimmernden Abalonemuschel. Sehr schön und passend zu all den Spiegelrahmen, Aschenbechern, Brieföffnern und neuerdings sogar Klodeckeln im gleichen Ton. Wenn Neuseeland eine Autoindustrie hätte, würden auch Kleinwagen in ›Greenstone‹ und ›Paua‹ lackiert.
Um die Schulter der Deutschen hängt eine schwarze Fahrradkuriertasche, auf der in signalgrün der Grundriss von Neuseeland gedruckt ist. Ob sie auch mit einer Landkarte unserer gemeinsamen Heimat auf ihren Klamotten herumlaufen würde? Oder mit einem Edelweißanhänger um den Hals? Schon schizophren, dass man nur den Kitsch anderer Kulturen mag. Zum Beispiel Holzmasken aus Burundi, aber keine Ölgemälde von Schloss Neuschwanstein.
»Kia ora, I am Eva and I come from Germany«, sagt sie in die Runde und reißt mich aus meinen Zwangsgedanken. Den Maori-Gruß spricht sie »kjeohra« aus – nicht schlecht. Ein echter Eingeborenenprofi. Solche Landsleute lob ich mir. Aber ihr Englisch klingt hart und holperig, richtig teutonglisch. Schon muss ich mich wieder fremdschämen. Der schottische Akzent der Toastbrotfamilie dagegen hat nur Lust auf einen Malt Whiskey am Torffeuer bei mir ausgelöst. Bin ich etwa rassistisch?
»Kia ora«, grüßt unser Kursleiter begeistert zurück, »tena koutou, haere mai!«
Gordon Humphreys heißt der joviale Kahlschädel und freut sich sichtlich über Evas Maori-Kenntnisse. Hoffentlich ist die Deutsche mit den signalfarbenen Entenfüßen keine Streberin. Ich kann Schule jedweder Art am besten mit subversiven Elementen durchstehen.
»Ich werde versuchen, euch alles zu erklären, was am Anfang so verwirrend erscheint. Stellt gerne so viele Fragen, wie ihr wollt. Dafür bin ich hier.«
Auf dem Nachhilfestundenplan stehen unter anderem Tischsitten, Arztbesuche, Stromabrechnung, Versicherungen, Schulsystem, Verkehrsregeln. Sehr gut. Manchmal steige ich in einem unbedachten Moment noch auf der linken Seite ein, wenn ich losfahren will. Das kriegt man nicht so schnell aus sich raus.
Gordon Humphreys beginnt mit einem kurzen Abriss über die Geschichte der Einwanderer in unserer neuen Heimat, darunter auch Deutsche. Die ersten kamen auf der ›St. Pauli‹ an. Heine, Bensemann, Ewers, Drögemüller findet man noch heute in den Telefonbüchern. Bekannt wurde auch Carl Volkner, ein Spion der Kolonialregierung. Der Pastor wurde von den Anhängern eines radikalen Maori-Propheten geköpft. Sie spülten seine Augäpfel im Messkelch hinunter.
»Der Mord gab den Briten einen Grund, noch mehr Land von den Ureinwohnern zu konfiszieren«, sagt Humphreys. Schon sind wir beim Thema. Politisch korrekt wird als Erstes das ›Treaty of Waitangi‹ drangenommen, das die Land- und Kulturverteilung zwischen Maori und früherer Kolonialmacht regelt. Nachdem die Engländer sich ein gutes Jahrhundert nicht um diese Abmachung scherten, wird der Vertrag aus dem Jahre 1840 neuerdings wieder respektiert. Land konfiszieren ist nicht mehr angesagt. Es gab Entschädigungssummen in Millionenhöhe an einige Stämme. Auch alle anderen Bereiche des öffentlichen Lebens, bis hin zu Forschung und Lehre, müssen bis ins Detail mit den Ansprüchen der Maori abgestimmt sein. Das erstreckt sich selbst auf Kindergärten, erklärt Humphreys, damit »bikulturelle Prinzipien
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