Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Stehpinkler drei Bier verabreichen und ihn einer Gewissensprüfung unterziehen, wenn sich die Spritzer auf dem Papier zu Flecken verfärben. Für uns ist das erlebte bundesdeutsche Geschichte. Für Baxter ist es zu viel. Er versteht die Welt des Wasserklosetts nicht mehr.
»Ihr Deutschen hängt sogar Schilder auf der Toilette auf, damit man korrekt pisst? Ja, Wahnsinn.«
»Meistens nur Zettel«, beschwichtigt Lukas. »Irgendein selbst geschriebener Spruch, manchmal hat sich der Kram sogar gereimt.«
»Was – feministische Gedichte über Klobrillen?«
Es ist nichts mehr zu retten. Das Kind ist tief ins Urinal gefallen. Ich mache es noch schlimmer und erzähle Baxter vom Klogeist.
»Das ist eine kleine Polizeikelle, die unter die Brille geklebt wird. Klappt man sie hoch, dann gehen Blaulicht und Sirene an.« Ich kichere und singe, »tatü-tata!«.
»Eine automatische Pinkelpolizei? Haha!« Er glaubt mir nicht. »Warum nicht gleich eine Lichtschranke und Elektroschocks? Ihr habt doch Erfahrung mit all der Technik – ich meine, die Mauer, die Selbstschussanlagen …«
Lukas verschwindet aufs Klo. Es dauert zwei Biere, bis ihm Baxter danach wieder von Mann zu Mann in die Augen gucken kann. Die beiden reden über die Fußballweltmeisterschaft, auf die Lukas zufiebert, aber die Neuseeland noch ziemlich kaltlässt – kein Wunder, da die All Whites auf Platz 78 der Weltrangliste stehen. Irgendwie kommt Lukas auf Baff zu sprechen. In dem antinationalen und antirassistischen ›Bündnis aktive Fußball-Fans‹ mischt auch ein Freund in Frankfurt mit.
»Was – die jubeln aus Prinzip immer für den Gegner?« Baxter schaut Lukas noch entgeisterter an als vorhin. »Aus politischen Gründen?« Er verschluckt sich fast an einer Wasabi-Erbse. »Luke, diesmal verarschst du mich. Solche Fans gibt’s nirgendwo!«
Ich verlasse schnell die Küche.
Ein Hoffnungsschimmer winkt am Horizont: Ich mache einen Einwanderungskurs. Lukas hat die Anzeige in der Zeitung gefunden und mir auf den Frühstückstisch gelegt. ›Orientierung für neue Migranten‹, angeboten von einer sozialen Einrichtung. Ich bin auch eine Grantin, wenn auch nicht mehr ganz neu. Aber ob Emi- oder Immi-, ist mir nie ganz klar. Ausländer, genauso wie Touristen – das waren immer die anderen. Die Türkengangs in Neukölln, der Rosenverkäufer nachts in der Kneipe, die Sängerin aus New York, der iranische Freund.
»Die helfen auch traumatisierten Flüchtlingen«, war Lukas’ Kommentar. Es sollte ein Scherz sein. Seit sich ein Patient letztens bei ihm entschuldigt hat, weil er den neuen Urologen fälschlich für einen Südafrikaner hielt, hat Lukas wieder Oberwasser. Es gibt also noch Unbeliebtere. Aber wahrscheinlich entschuldigt sich gerade jemand bei einem Holländer, den er für einen Deutschen hielt. So ist die Hackordnung. Bloß nicht zu früh freuen.
»Warum kommst du nicht mit?«, frage ich.
»Komm, ich hab schon genug Fortbildungen im Krankenhaus. Wahrscheinlich steht bald ein Ethikbeauftragter an jedem Krankenbett und wacht darüber, dass ich kulturell sensible Patientengespräche führe. Ich muss auf alles Rücksicht nehmen. Mir reichen die Zeugen Jehovas.«
Er hat gerade die erste Nierentransplantation ohne Blutkonserven hinter sich.
Dass mir die Orientierung als Migrantin in letzter Zeit etwas abhandengekommen ist, liegt an der Fremde. Die Fremde ist der Anfang von etwas Neuem und das Ende des Alten, aber nicht immer ist klar, wo das Gute anfängt und das Schlechte aufhört. Oder umgekehrt. Seit der Ankunft befinde ich mich in einem Niemandsland, wo die alten Spielregeln nicht mehr gelten, aber die neuen noch unbekannt sind. Ich kann mich auflösen oder neu erfinden. Verlust und Verwandlung gehören seit jeher zum Exilanten wie sein abgewetzter Überseekoffer. Das Bild hinkt etwas, denn Lukas, Otto und ich sind keine Verfolgten aus einer Diktatur. Wir sind noch nicht mal Wirtschaftsflüchtlinge. Aber das Dilemma kennen wir, oder deshalb gerade: Ziehen wir in ein Land, das wirklich besser ist? Von der DDR heißt es, viele hätten dort ›das richtige Leben im falschen‹ geführt. Angesichts meiner Anlaufschwierigkeiten in DDR (Schönes Neues Neuseeland) frage ich mich gerade: Gibt es das falsche Leben im richtigen?
Der Kurs beginnt im Hinterzimmer einer Grundschule am anderen Ende der Stadt. Die Fenster sind beschlagen, die Wände mit bunten Schülerzeichnungen zugeklebt. Ein Heizlüfter bläst von unten auf
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