Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Der Kaffee ist ausgetrunken, und Otto quengelt. Der nette Kollege meint, dass er sich bald melden werde wegen des Büros, und dass man sich mal auf einen Drink verabreden solle, und ganz sicher sehe man sich demnächst. Ich weiß, dass er mich nie mehr anruft. Genau wie Otto nicht mehr zum Spielen bei dem Jungen aus seiner Klasse eingeladen wurde, nachdem ich beim Abholen die Mutter einmal fragte, warum denn im Kinderzimmer pausenlos der Fernseher laufe. Eins zu null für den Fettnapf.
Ich versuche, die Szene aus meiner Erinnerung zu verdrängen. Aber dann fällt mir wieder das Abendessen mit den Assistenzärzten bei uns ein. Es war kurz nach unserer Ankunft. Wir kannten noch sehr wenige Leute oder die falschen. Ich wollte allen zeigen, dass ich keine tumbe deutsche Hausfrau bin, sondern eine kultivierte Gastgeberin. Dass ich ein interessantes Gespräch in Gang bringen kann, mit Rotwein, Politik und hitzigen Diskussionen. Solche Runden vermisse ich.
Ich hatte einen ganz passablen Lammbraten gekocht. Als wir vor den leeren Tellern saßen, wurde es für meinen Geschmack ein bisschen zu ruhig. Da fiel mir doch sofort ein gutes Thema ein: Ohrfeigen! Doch, darüber lässt sich diskutieren. In Neuseeland werden nämlich erschreckend viele Kinder zu Tode misshandelt. Dennoch wollen über achtzig Prozent der Kiwis das Recht behalten, ihre Kinder schlagen zu dürfen. Dazu hatte ich gerade einen flammenden Kommentar für Christchurchs Tageszeitung, die ›Press‹, geschrieben. Jetzt brannte ich auf Reaktionen. Immerhin war der Streit ums Prügeln das größte politische Thema des Jahres gewesen, mit Bürgerinitiativen, Volksentscheid und Aufmärschen. Aber am Tisch wurde es betreten still. Falsches Stichwort. Ich versuchte einen Kurswechsel. Weg vom Kind, hin zur Kuh. Kaum zog das Geplauder wieder an, warf ich die Milchbauern in die Runde, die ihre Gülle in die Flüsse leiten und Neuseelands Ökosystem gefährden. Ob das eigentlich so ›100 % pur‹ sei, wie die Werbung immer behauptet? Irgendjemand sagte »hat wunderbar geschmeckt, Anke«, und »danke, ich nehme noch Salat«, und das war’s. Bevor ich mit Abtreibung, Schwulenehe, Auslandsadoptionen, Klimawechsel, Pädophilie oder dem Papst loslegen konnte, brachte Lukas schnell den Nachtisch.
Die Mediziner fingen an, über ihre letzten Fahrradrennen zu sprechen. Ich stellte mir vor, mich nackt auszuziehen, auf dem Esstisch eine Nummer mit David Hasselhoff abzuziehen und dabei laut »Jawohl, Herr General!« zu brüllen. An dem Abend musste ich mich beherrschen, um nicht eine ganze Flasche Wein hinunterzukippen. Als ich mich ins Bett legte, sagte Lukas nur, dass das Lamm perfekt war. Damit drehte er sich zur Wand und machte das Licht aus.
Momentaner Fauxpas-Rekordhalter ist dennoch mein Mann. Er outet sich vor Baxter in einem schwachen Moment als Sitzpinkler. Baxter hat uns gerade über die Gefahr von Haien beim Surfen belehrt. Er hat zwar noch keine gesehen, aber weiß einiges darüber.
»Ich ging in Kiel mal abends aufs Klo und bin fast vor Schreck gestorben«, sagt Lukas. »Rat mal, Bax, was im Abfluss schwamm: eine Fledermaus! Muss irgendwie durchs Fenster gekommen sein.« Er lacht, öffnet eine Bierflasche und schüttelt sich. »Die hatte ziemlich spitze Zähne. Ich sah sie erst, als ich schon saß. Da ist mir aber die Lust aufs Pinkeln sofort vergangen. Mann, war ich schnell vom Sitz runter!«
Baxter schaut ihn mit leichtem Entsetzen an. Aber nicht wegen des norddeutschen Raubtiers.
»Du … du machst es wie die Mädels? Sag mir, Luke, dass das nicht wahr ist!«
Er ist amüsiert bis fassungslos. Vieles Unaussprechliche hat er deutschen Männern bisher zugetraut. Immerhin sitzen sie nackt in der Sauna, auch wenn sie nicht schwul sind. Aber dass sie so tief sinken und ihr eigenes Geschlecht verraten?
»Na ja, es ist besser für die Blase«, druckst Lukas herum und fischt japanische Wasabi-Erbsen aus der Knabberschale. Hier spricht der Urologe. »Und für die Mitbewohnerinnen.« Hier spricht der Feminist.
Baxter schüttelt den Kopf, nimmt einen tiefen Schluck von seinem Bier und lehnt sich an den Kühlschrank, wo Ottos Essenszettel für die Schule unter einem Magneten klemmt. Diesmal habe ich »SQUEEZED !!« quer über den Orangensaft geschrieben.
Wir weihen unseren Freund in alte WG -Gepflogenheiten inklusive Putzplan, Plenumssitzungen und Umerziehung ein. Letztere funktionierte so: Zeitungspapier rund um die Schüssel kleben, zwei Füße davor aufmalen, dem
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