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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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schlafen ja gleich, oder?« Und er muss wieder lachen, weil es bei ihm morgens ist und bei mir nachts. Ja, die Erde ist eine Kugel und dreht sich um die Sonne. Zum Piepen.
    Ich kann nach dem Anruf nicht sofort einschlafen. Daran ist nicht Christian Troy aus ›Nip / Tuck‹ schuld. Schon wieder habe ich meine Chance auf eine richtig große Story verpatzt, Kreisch-Zeile hin oder her. Das letzte Fiasko ereignete sich vor ein paar Tagen, als eine seriöse Tageszeitung aus Hamburg nachts um halb zwei anrief. Im distinguierten Hamburg amüsiert man sich im Gegensatz zum derben Berlin nicht über die Zeitverschiebung, sondern man ignoriert sie einfach. Das hat Stil, vor allem im Tiefschlaf. Die Stimme der Redakteurin schallte in mein Kopfkissen.
    »Tag, Frau Richter!«
    »Mmmhhhallo.« Den Hörer nicht neben den Nachttisch fallen lassen. Bloß kein Licht anschalten.
    Für eine Hanseatin sprudelte die Frau geradezu über.
    »Ich weiß, es kommt etwas auf die Schnelle. Aber es ist was ganz Großes!«
    Das sagen sie immer. Licht auslassen.
    »Es ist der Aufmacher für morgen, und es geht um Auswanderer. Wir brauchen dringend noch ein, zwei internationale Beispiele. Haben Sie da nicht spontan jemanden?«
    Spontan, hmm. Mal nachdenken und dabei die Augen weiter geschlossen halten. Wen kann man um halb zwei Uhr nachts in Christchurch am ehesten spontan zum Thema Containerpacken und Berufschancen interviewen: den deutschen Bäcker, den deutschen Handwerker, die deutsche Metzgersfrau oder den deutschen Arzt? Schließlich handelt es sich ja um einen Notfall. Von internationalen Dimensionen.
    Der deutsche Arzt lag neben mir und schnarchte leise. Unbrauchbar für jede Recherche. Ich glaube, ich sollte besser gar nicht mehr ins Bett gehen, solange die Nachrichtenlage so brisant ist.
    Als ich aufwache, erinnere ich mich wieder an das Telefonat. Und an die ausgerichteten Grüße. Von Dietmar Sägel. Ich schlurfe in die Küche und schaue durchs Fenster hinaus. Am Hang gegenüber, mit Hafenblick, liegt der Friedhof, wo Peter Jackson seinen ersten Horrorfilm drehte, ›The Frighteners‹ mit Michael J. Fox. Die Grabsteine sind verwittert, dazwischen sprießt das Gras. In den Katakomben meiner Erinnerung rührt sich etwas. Aber nichts Gutes.
    In dunkler Vergangenheit und jungen Jahren war ich Redakteurin bei einer Boulevardzeitung. Sie war in unserer Region die Konkurrenz zur KREIS -Zeitung, aber nicht ganz so schlimm. Wir gingen sanfter mit unseren Opfern um und hielten uns stets an die Wahrheit – falls diese nicht mit der Geschichte kollidierte und man sie »kaputt recherchierte«. In dem Fall siegte dann meistens die Geschichte.
    Ich lernte viel. Die wackere Hemdsärmeligkeit meiner Kollegen imponierte mir genauso wie ihr Mangel an Berührungsängsten. Graben wie die Maulwürfe – das war harte Arbeit. Unsere Texte tippten wir vor einem Bildschirm, der so tief wie breit war. Die Buchstaben flackerten in hellgrüner Leuchtschrift auf schwarzem Grund. Das Faxgerät war schon erfunden, aber für die alteingesessene Redaktion ziemlich exotisch. Alle paar Minuten krachte es laut im Nebenzimmer – rumms, dann kam wieder eine Rohrpost an. Das war ein rundes, verschraubbares Kassiber, das per Luftdruck durch verzweigte Schächte im Haus katapultiert wurde. Darin befanden sich Meldungen aus der Nachrichtenzentrale im dritten Stock, die per ›Ticker‹ oben angekommen waren. Doch, Autos gab es damals schon, auch elektrisches Licht.
    Ich war Anfängerin im Show-Ressort. Dietmar Sägel stieß als Profi dazu. Er kam aus dem tiefsten Ruhrpott und war zuletzt Chefreporter bei einer Klatschzeitung, einem nicht zu unterschätzenden Fachblatt, das bei übermäßigem Genuss den gleichen Effekt wie eine Frontallobotomie hat. Wer sich dort behauptet, hat sich für einen der schwersten und undankbarsten Berufe der Welt qualifiziert.
    Als Showberichterstatter wird man in der Bahn, im Wartezimmer und vor Supermarktregalen gelesen. »Und auf dem Bau«, sagten wir uns stets, um uns besser zu fühlen. Mit den einfachen Werktätigen kam man jedoch nicht so oft in Berührung. Stattdessen mit pudellockigen Managern oder Ehemännern drittklassiger Fernsehansagerinnen, die angeblich ›Hollywood-Format‹ hatten und sich allerlei Peinliches einfallen ließen, um ihren Namen gedruckt zu sehen. Und das war noch vor Urinella.
    Als Showreporter stand man sich in den Korridoren bei ›Wetten, dass?‹ und nach Senderpressekonferenzen die Füße platt. Man wusste,

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