Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
Vom Netzwerk:
und sehe mindestens zehn Zeilen, die nur aus x und o bestehen – Küsse und Umarmungen. Die kühle Blonde ist im Flirtfieber.
    »Ah, deine neue Flamme aus München?«
    Claudes Deutschlandfetisch erstreckt sich auch auf die Einheimischen. Bevorzugtes Jagdrevier ist Bayern, wegen der niedlichen Mundart und der Weißwurst.
    Sie nickt als Antwort und tippt dabei weiter. Wahrscheinlich störe ich.
    »Schau dich nur um«, sagt sie und blickt kurz auf. »Das ist noch die alte Serie. Als Nächstes kommen Tui dran.«
    An den Wänden lehnen gerahmte Schwarz-Weiß-Bilder. Auf allen sind überdimensionale Kiwivögel abgebildet, verfremdet und verzerrt. Was hatte ich erwartet – Aktfotografien? Sozialreportagen? Die Tiere sind frisch geschlüpft, überfahren, bei der Paarung, flüchtend, schlafend, aber niemals in der Luft. Kiwis können nicht fliegen. Auch ein riesiges Ei ist darunter. Es erinnert entfernt an ein Atomkraftwerk.
    Dass die Künstlerin Claude Nationalsymbole verewigt, beruhigt mein verkorkstes deutsches Gemüt. Vielleicht kann ich als Immigrantenlehrling einfach mitziehen. Kiwiana als Chance. Fremdpatriotisieren statt fremdschämen. Langsam freue ich mich auf diese Urologenparty.
    »Echt tolle Bilder.« Ich zeige in den Raum und stolpere dabei über das ausgestopfte Modell auf dem Boden. Der Tui-Flügel ist jetzt geknickt. Claude scheint es nicht zu registrieren.
    »Fotografierst du auch noch anderes, außer Vögeln?«
    Sie klappt endlich den Laptop zu.
    »Eher ungern. Aber sag Bescheid, wenn du mal eine Fotografin brauchst. Ich hab früher einiges für Zeitschriften gemacht.«
    Der Kaffee, den sie mir auf ihrem Gaskocher macht, schmeckt so gut wie der Flat White in Lyttelton. Wir pusten in unsere Becher. Ich erzähle ihr vom Kurs und dem ›cultural cringe‹. Claude meint, daraus sei doch in einer 180-Grad-Wende längst das Gegenteil geworden.
    »Wir sind in unser eigenes Image verliebt. Alles Gute kommt jetzt aus ›Godzone‹.« Sie rollt die Augen und gießt sich Kaffee nach.
    »Aber ist das nicht super für die Musikszene?« Ich erinnere mich an die Gespräche mit Baxter. So schnell will ich mir meine frisch entflammte Euphorie nicht nehmen lassen. »Früher hatten neuseeländische Bands doch nur im Ausland eine Chance.«
    »Ach, es ist so inzestuös. Kunst, Literatur – alles dreht sich nur um dieses kleine Land. Zähl mal, auf wie vielen Bildern du Nikaupalmen und Pohutukawa siehst. Das ist doch viel extremer als bei euch mit den röhrenden Hirschen.«
    Als ich eine Stunde später ins Auto steige, klebt eine schwarze Feder an meinem Schuh.

      [Menü]      
    Kein schöner Land in dieser Zeit
    UNSER ZWEITER SOMMER im Land der langen weißen Wolke ist ein Sommer der langen schwarzen Regenwolken. Es schüttet im Dezember, zur Weihnachtszeit, was wunderbar ist, weil es uns ganz besinnlich stimmt. Im Jahr davor zogen wir an Heiligabend die Gardinen zu, damit es etwas dunkler wurde und man den Kerzenschein vom Tannenbaum zumindest erahnen konnte. Draußen ging ein brüllend heißer Tag noch lange nicht zu Ende, halb Christchurch war am Strand, und unsere Ente mit Rotkohl lag in der Hitze viel zu schwer im Magen. Wir fühlten uns deplatziert in dieser halbgaren, halbheimatlichen Blockflötenstimmung – es war ein fauler Kompromiss. So einfach kann man die Kontinente nicht austauschen. Aber ein bisschen Tradition wollten wir uns noch bewahren. Dank des grauen Himmels kommen wir dieses Jahr noch mal drum herum, die Bescherung auf den Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages zu verschieben und so zu feiern, wie es sich in diesem Land gehört: mit einem großen Lunch oder Grillen am Strand. Je nach Wetterlage werden wir uns dann zum nächsten Weihnachtsfest wohl endgültig assimilieren müssen.
    Leider gießt es auch im Januar, während noch vier Wochen lang Sommerferien sind. Alles steht unter Wasser, von der Straßenkirmes in Lyttelton bis zum psychedelischen Rave in den Bergen. Aber schlechtes Wetter ist für naturverbundene Kiwis kein Grund, nicht zelten zu gehen. Das ist allein schon eine Frage der Egalität. Weil sich das ganze Land während der Ferien im Campingurlaub befindet, herrscht Sauregurkenzeit für die Tageszeitungen. Reporter werden losgeschickt, um festzuhalten, was sich im Arbeiter- und Zeltaufbauerstaat in diesen Wochen zwischen Nylonwänden und Luftmatratzen abspielt.
    So findet das Lokalblatt prompt ein paar hartgesottene Camper in einem Küstendorf, die tapfer Heringe in den

Weitere Kostenlose Bücher