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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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Matsch rammen. Die beiden Touristen sehen auf dem Foto in der ›Press‹ ziemlich vermummt aus. Es muss dort seit Tagen in Strömen gegossen haben. Auf ihren schwarzen Kapuzenpullis prangt der Schriftzug ›FC St. Pauli‹. Der Anblick wärmt mir das Herz. Der Campingplatz, so lese ich, wird von einem Deutschen geführt, der dort vor über 15 Jahren mit dem Motorrad hängen blieb. So weit, so gut.
    Ich habe die durchnässten St.-Pauli-Fans längst wieder vergessen, bis ich eine gute Woche später in meinem Lieblingscafé sitze und durch das Sonntagsmagazin blättere. Der Starkolumnist des Heftes muss den gleichen Camping-Artikel gelesen haben. Ein Deutscher als Zeltwart? Zum Brüllen komisch, dachte sich der sonst so kluge Mann. Camping klingt nach camp, und das heißt Lager. Also schrieb er ein fiktives Schmunzelstück über einen ›Gunter Netzer‹, denn es ist ja auch schwer, sich einen deutschen Namen auszudenken. Immerhin kam er nicht auf Boris Bäcker. Der Zeltwart, so lese ich mit ansteigendem Unwohlsein, geht brav seiner Wartungstätigkeit auf der Zeltwiese nach. Erfundenes Netzer-Zitat: ›Ich führe nur Befehle aus.‹
    Claude hat die Kolumne auch gelesen. Sie zeigt auf die Seite, als sie mir meinen Flat White bringt.
    »Immerhin hat er dem Mann keine ›bratwurst legs‹ angedichtet oder ihn ›Jawohl!‹ brüllen lassen.«
    »Ich kannte das bisher nur aus den Zeitungen in England«, sage ich. »Da gilt: Bloß keine Klischees vermeiden, vor allem solche aus alten Kriegstagen, denn die ziehen immer noch.«
    »Aber das ist doch bei allen so. Du merkst es nur nicht.« Sie zeigt zu Liam hinüber. »Wenn ich ihm zum Beispiel von München erzähle, von den Ausstellungen in der Pinakothek und den Filmen, die ich dort gesehen habe, dann weiß ich genau, was in dem Moment in seinem Hinterkopf abläuft: ›Don’t mention the war, don’t mention the war‹. Er sieht immer nur peitschenknallende Offiziere mit Monokel vor sich.« Sie seufzt. »Vergiss nicht, wie weit weg Europa ist.«
    Ich muss an Hamish Dickinson denken, den arroganten Briten. Für den ist Europa ziemlich nah. Claude räumt meine Tasse ab.
    »Die Kiwis wissen gar nicht, was sie Hitler zu verdanken haben«, bricht es aus ihr heraus. Ich zucke innerlich zusammen. Ihre Germanophilie war mir von Anfang an nicht ganz geheuer.
    »All diese kreativen, klugen, kultivierten Europäer, die seinetwegen hierhergeflohen sind und uns kreativer, klüger und kultivierter gemacht haben. Karl Wolfskehl, Ernst Plischke, Karl Popper, Theo Schoon …«
    Ich atme leise auf. Bevor ich Claude fragen kann, wer denn Theo Schoon ist, verschwindet sie wieder Richtung Theke. Liams Zen-Geduld ist wohl bald am Ende, was unsere Schwätzchen während ihrer Arbeitszeit betrifft.
    Ich lege die Campingparodie zur Seite. Sie endet mit der Prophezeiung Gunter Netzers, dass dieses Jahr ein ›Ansturm von Deutschen‹ erwartet würde. Das klingt schwer nach Stechschritt, selbst wenn die Germanen in Wohnmobilen einfallen. Soll ich einen Leserbrief schreiben? Ach was. Viel zu deutsch.
    Als Otto aus der Schule kommt, zieht er einen grün-weißen Aufkleber aus seinem Rucksack.
    »Den hat mir die Frau aus der Cafeteria heute mitgegeben.«
    Er stammt von einer Orangensaftflasche. ›Squizeed Orange Juice‹ steht darauf. Es ist ein Markenname.
    »Und Mama, kannst du bitte nicht mehr Sachen auf meinen Lunch-Zettel schreiben?«
    Oh, diese Schande. Ich verschwinde schnell aus der Küche in die Garage. Dort wühle ich mich durch die noch nicht ganz ausgepackten Kisten. Tief unter den Schlittschuhen finde ich sie: die St.-Pauli-Fahne mit Totenkopf. Lukas hat sie aus Sentimentalität damals mit in den Container gepackt. Vor unserem Haus steht ein langer, verwitterter Pfahl, an dem wohl mal früher eine Laterne hing, als die ersten Siedler im Hafen einschifften. Otto klettert auf meine Schultern und bindet die Schnur so weit oben wie möglich fest. Falls die teutonischen Massen nach Christchurch vorrücken sollten, bin ich gewappnet. Seit heute zeige ich Flagge.
    »Wart ihr früher Piraten?«, fragt das Nachbarskind über den Zaun hinweg und zeigt auf die Fußballfahne. Wie niedlich. Das kommt davon, wenn man in jungen Jahren zu oft auf dem Rainbow Gathering oder anderen Hippie-Festivals war. Dann besteht die Welt nur aus Seeräubern, Nomaden, Jonglierern und Feuerschluckern. Das Mädchen mit den verfilzten Haaren und Apfelbäckchen heißt Chili, aber zum Glück nicht mit Nachnamen Carne. Cumin

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