Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
ist ihr kleiner Bruder und Pepper das 18 Monate alte Baby. Mutter Judy ist meine Masseurin und wieder schwanger. Ich tippe mal, da ist ein Oregano oder eine Vanilla unterwegs. Unsere Nachbarn sind prima Leute mit ausgeprägtem Umweltbewusstsein. Familie Non-Carne lebt fleischlos, was ja sinnvoll ist, und mag auch keine Gelatine. Als Jakob Chili mal Gummibärchen anbot, gab sie die brav zurück: »Darf ich nicht essen.« Das kannte ich bisher nur aus deutschen Müttergruppen, Schwerpunkt ›Allergien auspendeln‹.
Die hochschwangere Judy, in verwaschenes Lila und indische Schals gekleidet, winkt mich oft auf eine Tasse Kräutertee auf ihre Veranda herüber. An der Brust nuckelt stets das kleine Pfefferkorn, festgezurrt in ein Wolltuch. Wir plaudern über Reisen nach Vietnam, über den geplanten Ausbau des Hafens, über Jakobs erstes Rugbytraining und das Scheitern Neuseelands, außer atomfrei auch frei von Genmanipulation zu werden. Bei jedem Besuch erfahre ich, welcher Vogel gerade im Garten trällert und aus welcher Richtung heute der Wind weht. Kiwis haben eingebaute Wetterfähnchen. Judy mag besonders den föhnartigen Nor’wester und fürchtet den garstigen, kalten Southerly, während ihr Lebensgefährte Nick nicht viel vom frischen Nor’easter hält. Ich kann gerade mal die Himmelsrichtungen auseinanderhalten und weiß, dass die Sonne mittags im Norden scheint.
Nick ist genauso handfest, naturverbunden und herzlich wie Judy. Meistens wurschtelt er irgendwo im Hintergrund rum und repariert etwas. Mit seinem langen Bart sieht Nick aus wie Jesus. Er trägt alte Karohemden und gerne Gummistiefel. Wenigstens einer, der seinem nationalen Stereotyp treu bleibt, wenn Lukas schon eine solche Enttäuschung ist und Lederhosen verschmäht.
Schwer zu sagen, ob und wann Nick arbeitet. Danach fragt man nicht sofort. Wer seine Karriere zu ernst nimmt und sich damit wichtigtut, macht sich schnell unbeliebt. Was zählt, ist Spaß zu haben und Zeit für Freunde und Familie. Das haben Nick und Judy in Massen. Vor ihrem Eingang liegen zwischen Wäschekörben und Dreirädern zwei alte Longboards herum, auf die Lukas immer neidisch schielt.
Judy ruft oben von der Veranda runter. »Anke?« Es klingt wie ›Änki‹, und das klingt wie ›hanky‹ – Taschentuch. Ich hätte mir bei der Einreise mal lieber eine gebrauchsfreundliche Abkürzung wie ›Ann‹ zulegen sollen. Jetzt ist es zu spät. Rotzfahne forever.
Judy winkt mit der freien Hand und hält mit der anderen ihr Baby in Michael-Jackson-Manier über die Brüstung, von der die rosa Farbe abblättert. Bis auf die Gelatinephobie ist sie eine sehr lässige Brüterin. Unsere Nachbarin ist der Gegenentwurf zu den 150-prozentigen Supermuttis, die deutsche Spielplatzbänke und Heilpraktikersprechstunden okkupieren, getrieben von dem Wahn, nicht genug für die perfekte Entwicklung ihres Kindes zu tun. Pepper hat gar keine Ahnung, wie gut sie’s im internationalen Vergleich getroffen hat. Ihr Sabber tropft neben der Veranda ins Gras.
»Wir machen heute einen Kirtan-Abend, Chanting mit Ashana. Vorher gibt’s ein Potluck. Kommst du auch?«
Klar komme ich. Böse Menschen kennen keine Lieder. Außerdem hat mir Stefano, mein ganzheitlicher Friseur, empfohlen, an meinen Chakras zu arbeiten, damit sie sich öffnen. Das soll auch den Haarwuchs unterstützen. Stefano sieht mit seinem langen Pferdeschwanz und sanften Blick sehr italienisch aus, ist aber eigentlich ein schwäbischer Stefan. Ein Buchstabe mehr macht sich in der neuen Heimat immer gut, solange der Akzent irgendwie fremd klingt. Und als Italiener hat man deutlich weniger Imageprobleme. Wie gerne würde ich mal jemanden ausrufen hören: »Nein, echt, du bist aus« – da geht dann die Stimme hoch – »Deutschland! Ach wie toll. Euer Essen, diese Kultur! Die Sprache, die Lebensart! Und dein Mann ist sicher ein feuriger Liebhaber …« – lang gezogenes Seufzen, frivoler Blick. Vielleicht nerven auch italienische Klischees irgendwann. Vielleicht. Ich werde es nie erleben. Stattdessen: Lagerwärter Gunter Netzer.
Vor dem spirituellen Einsingen gibt es ein vegetarisches Essen in gemeinsamer Runde. ›Potluck‹ bedeutet, dass jeder etwas mitbringt. Diese nette neuseeländische Tradition ist eine der größten gesellschaftlichen Stolperfallen für frisch Eingewanderte. So manche begriffsstutzige Deutsche, und nicht nur die, hat die Aufforderung »Ladies, bring a plate« wörtlich verstanden. Da staunten die Hausfrauen in
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