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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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aber spricht kaum Englisch. Gordon Humphreys blättert mit ihm durch die Prospekte der Sprachschulen. Dann geht unser Helfer zum therapeutischen Teil über, denn von Haus aus ist er Psychologe.
    »Ich weiß, wo euch Immigranten der Schuh drückt. Ich kenne so viele Fälle. Kulturschock. Heimweh. Existenzängste.« Er blickt mitfühlend in die Runde, aber seine Stimme klingt aufmunternd. »Das erste Jahr ist das schwerste. Nach sechs Jahren kommt dann noch mal ein Abnabelungsprozess, wenn man weiß, dass man eigentlich nicht mehr zurück kann.«
    Die Kenianerin nickt. Sie hat bisher nicht gesprochen. Eva sieht aus, als ob Humphreys einen wunden Nerv getroffen hätte. Ich dachte mir schon, dass sie nach zwei Jahren im gelobten Land nicht hier sitzt, um zu erfahren, wie sie ihr Telefon anmeldet. Sie hebt die Hand.
    »Was mache ich«, fragt sie, »wenn ich mir plötzlich nicht mehr sicher bin, ob es richtig war, wegzugehen? Woher weiß ich denn, ob das nur so eine Phase ist, oder ein Problem, das für immer bleibt?«
    Typisch. Muss gleich ihr Innenleben vor allen ausbreiten und tiefschürfend herumproblematisieren. Das würde den reservierten Schotten, der Afrikanerin und dem Asiaten wohl kaum passieren. Ich verzeihe ihr die Gefühlsinkontinenz nur, weil sie schon mal auf der Stunksitzung in Köln war.
    »Sehr gut, Eva«, sagt unser Einwanderungsexperte. »Hervorragende Frage.«
    Schleimer. Oder sind einfach alle immer so unbeschreiblich nett zueinander? Humphreys wirft den Overhead-Projektor an und schiebt eine Folie hin und her.
    »Schaut euch mal diese Grafik an. Das ist die sogenannte U-Kurve der Anpassung.« Auf der Tafel erscheint ein Bogen, an dessen Anfang ein Strichmännchen aus dem Flugzeug steigt. »Das ist der Zeitpunkt der Abreise. Ihr seid«, er tippt mit einem Stift auf die Folie und liest ab, »nervös, aufgeregt, fröhlich, traurig.«
    An der zweiten Station auf der Abwärtskurve steht das Männlein mit einem Fragezeichen überm Kopf und einem Koffer in der Hand vor einem Schild mit der Aufschrift ›Welcome to New Zealand‹.
    »Ankunft: Verwirrt, müde, noch immer froh, abenteuerlustig«, doziert der Therapeut. Das dritte Männchen sieht schon weniger froh aus: »Einsam. Neues Essen, neue Sprache, andere Kultur und Umgebung. Neue Freunde finden.« Doch, es geht tatsächlich noch tiefer auf der Unglücksskala. Männchen Nummer Vier weint ganz eindeutig. Was kommt jetzt – Suizid?
    »Zutiefst unglücklich«, liest Humphreys von der Tafel ab. »›Mag mich überhaupt jemand? War es richtig, auszuwandern?‹«
    Ich traue mich kaum, die Deutsche anzugucken. Hoffentlich macht sie jetzt keinen Seelenstriptease. Gordon Humphreys’ Stift wandert weiter. Endlich zeigt die Kurve wieder nach oben. Strichmännchen lächelt, umringt von zwei anderen Gestalten. »Studiert, hat Freunde, Arbeit, Aktivitäten, alles okay«, leiert Humphreys gut gelaunt runter. Und zu guter Letzt: ein vor Freude in die Luft hüpfendes Wesen am Ende des U. Wir atmen erleichtert auf. Bis der Psychologe nachschiebt: »Der Verlauf der Kurve dauert nach allen Erkenntnissen um die zwei Jahre.« Zwei Jahre? Ich habe das Schlimmste also bald vor mir. Eva seufzt vielsagend. Vielleicht verläuft ihr Biorhythmus atypisch, und sie steckt noch am Beckenboden vom U.
    Unser Tag ist fast rum. Die Glocke schrillt diesmal länger. Kinder strömen aus den anderen Klassenzimmern. Draußen knallen Schüler johlend einen Ball an die Wand. Unsere letzte Lektion handelt vom Optimismus. Kiwis, so unser Dozent, mögen Positives. Jeder ist nett zum anderen, so sehr er kann. Das muss aber nichts Verbindliches heißen. »Let’s have dinner next week« kann eine Essenseinladung in zwei Monaten bedeuten oder auch gar nicht. Ist aber nicht böse gemeint.
    »Tja, alles ganz schön oberflächlich«, raunt Eva leise in meine Richtung. »Da hast du’s.« Ihre Mimik zeugt von Tiefgang.
    Mir fällt der Kinoabend ein, den ich organisiert hatte. Von sieben Leuten sagten drei zu, einer ab, drei sagten gar nichts und zwei kamen am Ende mit. Ich weiß noch nicht, ob ich meinen nächsten Geburtstag groß feiern werde.
    »Gibt es noch ein Thema, das euch besonders interessiert?«
    Gordon Humphreys schaltet den Tageslichtprojektor aus.
    »Ja«, melde ich mich. »Kiwiana!«
    Die Urologenparty ist schon in drei Wochen. Ich brauche Ideen für mein Kostüm.
    »Du meinst Rugby, Gummistiefel, Pauamuscheln und Tiki?« Das sind Maori-Götterfiguren, gerne auch aus Plastik. »All die

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