Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
der Welt schwer, Christchurch sei da keine Ausnahme. ›Manche nennen es Rassismus, andere nennen es sich kennenlernen‹, wird das Stadtoberhaupt zitiert.
»›Kennenlernen‹?! Wie kann man so was von sich geben?«
Lukas liest Baxter und mir den Satz am Küchentisch laut vor, so aufgebracht ist er. »Warum muss der Idiot dafür nicht zurücktreten?«
Baxter studiert das Surfertattoo auf seinem Oberarm. Es ist ihm sichtlich unangenehm. Aber um keine schlechten Schwingungen zu verbreiten, pflichtet er Lukas lieber bei, wenn auch lauwarm. Unser Handwerkerfreund hat an diesem Morgen nur kurz auf einen Plausch über die bevorstehenden Wellen hereingeschaut. Ein Sturm aus Samoa ist im Anmarsch und verspricht besten ›swell‹ im Nachbarort Sumner. Das Thema lässt sich aus sämtlichen Perspektiven ausgiebig erörtern. Für Materialabwägung (Shortboard? Longboard? Kurze Fußleine oder lange?) kommt normalerweise noch mal eine Viertelstunde obendrauf. Aber Lukas hat gerade keinen Sinn für wilde Wellen. Er war vor vielen Jahren in Rostock dabei, mit einer Sanitätertasche ausgerüstet und von Polizeiknüppeln bedroht. Davon zehrt er bis heute.
»Wieso kommst du nachher nicht mit auf die Demo?«, bohrt er schon zum zweiten Mal nach. Baxters Augen sprechen Bände, als ich ihm einen Milchkaffee reiche: ›Kaum schaut man nichtsahnend bei den Deutschen vorbei, schon wird man einem Verhör unterzogen.‹ Ich zeige kein Erbarmen, sondern verfalle ebenfalls in bewährte Lichterkettenmanier.
»Sollen sich diskriminierte Menschen etwa nicht wehren?«
Er zuckt leicht zurück. Dann füllt er die Surferlungen mit Luft.
»Also, ich finde das alles, mmhh, vielleicht etwas übertrieben.«
Das war die Schaumkrone von Baxters Empörungswelle. Der Gipfel an Konfrontation. Sein Blick wandert wieder in die Kaffeetasse. Irgendetwas Faszinierendes spielt sich zwischen Milchschaum und Kakaostaub ab. Dann schaut er auf.
»Alles wird immer sofort angeprangert, auch wenn es mit der Hautfarbe oder so nichts zu tun hat. Ihr solltet mal nach Australien gehen, da gibt’s echten Rassismus. Sorry, Leute, ist mir alles zu piißii.«
Mit ›pc‹ meint er nicht seinen Computer, sondern ›politically correct‹. Kein Kiwi, der im Vergleich zum Rest der Welt vorbildlich bikulturell, feministisch, tierlieb, schwulenfreundlich, behindertenintegrierend und anti-antisemitisch tickt, würde sich freiwillig als politisch korrekt bezeichnen. Genauso wie sich niemals jemand rassistisch nennt, selbst Kyle Chapman nicht. Der ist der Kopf der südlichsten Zweigstelle der National Front, hat mal eine Bombe gezündet, trägt Glatze und will keine Fremden in seinem Land. Er hat zur Gegendemonstration vor der Kathedrale aufgerufen.
Lukas, der Gutmensch, hat endlich Erbarmen. Er schiebt die Zeitung weg und wechselt das Thema.
»Hey, was machen deine Chancen bei ›The Total Home Make-Over‹, Bax?«
Da Neuseeland das Mekka der begeisterten Häuslebauer und Do-It-Yourself-Experten ist, wimmelt es im Fernsehen von Renovierungssendungen. Baxter hat sich für eine Reality-Doku beworben – als Schreiner, der den Kandidaten beim Verschönern ihres Heims zur Hand geht. Auch ich schwenke um. Bax, der Baumeister, jawohl!
»Sie müssen dich schon deshalb nehmen, weil du so gut aussiehst. Klare Sache.«
»Oha«, meint Lukas dazu. Er macht einen affektierten Kussmund und säuselt Baxter auf Deutsch zu: »Du bist ein echter Schnuckelputz. Pass auf, dass dich kein Bauer vernascht, mein Lämmchen.«
Baxter grinst zurück. Er hat kein Wort verstanden.
»Also, wenn ich raten soll«, sagt er und kratzt bedächtig seine Salzwassermähne, »dann tippe ich mal, das war der Einmarschbefehl nach Polen. Wenn ihr in eurer Sprache redet, klingt das immer wie in den alten Filmen.«
›No to racism, Yes to harmony‹ steht in Regenbogenfarben auf einem Banner, das in der Mitte schlackert. Eine Lokalpolitikerin, ein bekannter chinesischer Geschäftsmann und der Kopf des mächtigen Südinselstammes Ngai Tahu halten das Spruchband hoch. Dahinter marschieren Hunderte, vielleicht sogar tausend Leute in Richtung Kathedrale. Ich sehe Gewerkschaftsfahnen, Megafone, Kinderwagen. Asiatische Gesichter, europäische, indische, afrikanische, polynesische. Da ist Kim, der Koreaner aus meinem Sprachkurs. Weiter hinten in der Masse der Leute leuchtet Evas weinroter Haarschopf. Ihren Mann, den Meckerbäcker, sehe ich nicht.
Der Protestzug kommt zum Stehen. Der Ngai-Tahu-Chef spricht ein Gebet
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