Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Augen. Qualm und Flammen vernebeln das Abendlicht.
Vor der Kneipe am Anfang des Strandes beginnt ein Freiluftkonzert. Einlullender Beat schwappt zu den versprengten Wildfood-Indianern hinüber. Lukas, Otto und ich setzen uns an eines der Feuer, schauen in die Glut, lauschen und verdauen. Jemand reicht unserem Jüngsten auf einem Stock einen angesengten Marshmallow. Er mampft, glücklich und mit klebrigen Fingern. Nirgendwo ist es in diesem Moment schöner, verwildert zu sein. Selbst der Name der Band könnte für den Anlass nicht besser passen. Es ist Salmonella Dub.
»Ist bei euch noch ein Plätzchen frei?«
Ich schaue hoch. Eva lächelt uns an. Sie hat sich eine Kapuzenjacke über ihr Kleid gezogen. Über der rechten Brust ist der Schriftzug ›Whale Watch Kaikoura‹ aufgenäht. Jörg steht neben ihr.
»Mahlzeit«, sagt er und kickt einen angekokelten Ast zur Seite. Seine Bäckermütze hat er gegen ein Armeekäppi getauscht. Das sieht zwar lässiger aus als vorher, aber das Gesicht darunter ist noch immer verkniffen. Vielleicht mag er keine Lagerfeuer im Sonnenuntergang.
Die beiden setzen sich. Jörg zieht seine Sportschuhe aus, schüttet den Sand heraus, klopft sich gründlich die Socken ab und zieht die Schuhe wieder an. Vielleicht mag er auch keinen Strand. Er zeigt auf den Pappbecher mit Deckel, aus dem Lukas gerade den letzten Rest Kaffee saugt.
»Das Zeug kannst du trinken?« Ein verächtlicher Blick. »Die kennen hier ja nicht mal richtigen Filterkaffee. Echtes Entwicklungsland, ich sag’s euch. Ich lass mir von meiner Mutter aus Jena jeden Monat ein paar Päckchen Kaffee schicken.«
Zum Glück ist Claude nicht hier. Im Café in Lyttelton rösten sie die Bohnen selbst, und besser als bei Tchibo.
»Meine Mutter hat früher auch immer Kaffee verschickt«, sage ich, »aber in den Osten.«
Eva lacht einmal kurz. Jörg findet den Scherz wohl nicht so gelungen. Er schaut auf seine Uhr.
»In 27 Minuten müssen wir gepackt im Auto sitzen«, sagt er zu seiner Frau und tippt dabei auf das Taucheruhrglas. »Ich will in Greymouth sein, bevor dort die Tankstelle zumacht. Der Sprit ist bei den Pappenheimern einen Cent billiger als hier.«
Er zieht einen Blackberry aus der Jackentasche und scrollt darauf herum.
»Bei Shell in Darfield sogar zwei Cent teurer. Ich sag euch, alles Halsabschneider, diese Brüder! Erst 25 Kilometer vor Christchurch wird es weniger.«
»Das hast du alles eingetippt?«, fragt Lukas halb beeindruckt, halb entgeistert.
Jörg nickt.
»Für so was habe ich eine eigene Excel-Datei. Spart Geld und Ärger. Ich lass mich nicht mehr übers Ohr hauen.«
Eva schaut peinlich berührt zur Seite und dann ins Feuer.
»Dann lass uns mal lieber los, was«, sagt sie. »Wir müssen Takaka noch bei der Babysitterin abholen. Es sind ja sicher schon viereinhalb von deinen 27 Minuten um.«
Sie stapfen durch den Sand davon. Eva trägt ihre Crocs in der Hand und ist barfuß. Hinten auf ihrer Kapuzenjacke prangt ein großer Wal. Jörg schaut auf seine Uhr und fängt an zu laufen.
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Heidschi Bumbeidschi
DIE KIWIANA-PARTY steigt heute Abend auf einem Weingut außerhalb von Christchurch. Aber bevor mit Lukas’ Kollegenschar gefeiert wird, gehen wir auf eine Demo. Die findet in der Innenstadt statt und ist gegen Ausländerfeindlichkeit. Demonstrieren ist eine alte Angewohnheit, die wir uns nicht gleich abgewöhnen können.
Spätestens, seit ein Flüchtling aus Mosambik vor Jahren bewusstlos geprügelt wurde, hat Christchurch einen einschlägigen Ruf. Die letzten Worte, die der Afrikaner vor seinem Tod hörte, waren ›Willkommen in Neuseeland, du Arsch‹. Seitdem hat sich die Stimmung verschlechtert. In letzter Zeit gab es Angriffe auf Asiaten. Koreaner, deren Häuser beschmiert wurden, indische Ladenbesitzer, denen die Scheiben eingeschmissen wurden, eine Vietnamesin, die brutal angerempelt und Japaner, die verprügelt wurden – ihnen reicht’s. Zum ersten Mal veranstalten Neuseelands Asiaten einen Protestmarsch. Das ist in etwa so typisch wie mit Stäbchen essen für Europäer. Es muss sich einiges an Leidensdruck aufgebaut haben. Doch unser Bürgermeister befürchtet, dass das Image der Gartenstadt im Ausland Schaden nehmen könnte, und durch negative Schlagzeilen all die zahlenden Sprachstudenten aus Seoul und Peking fortbleiben, die jedes Jahr Millionen ins Land pumpen. Er wirft den Organisatoren der Demo Überreaktion vor. Neuankömmlinge hätten es überall auf
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