Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
ähnlich schwer geahndet: Rugby und Edmund Hillary nicht zu lieben. Der Mount-Everest-Bezwinger war ein Mann von beeindruckender Bescheidenheit, Weisheit und Würde. Er ist jedem Kiwi heilig. Als Partypersiflage fällt Sir Ed wohl besser flach. Ich warne Lukas, der schon nach Karabinerhaken und altem Lederrucksack Ausschau hält. Die Tretminen liegen überall. Nur zur Erinnerung: gepresster Orangensaft.
Aufgeblasene Kondome baumeln als Ballons von der Decke. Vom üblichen Weinblattdekor des Restaurants ist nichts mehr zu erkennen. Vom üblichen Aussehen der Gäste auch nicht. Buzzy Bee, die dicke Hummel am Eingang – ist das nicht eine von den Sekretärinnen? Und der Inder in Anglermontur muss der Anästhesist sein.
Lukas trägt eine Klobrille um die Hüften und ein kleines Holzdach auf dem Kopf. Unterm Arm klemmt eine Klopapierrolle und die neueste Ausgabe der Jägerpostille More-Pork. In einer Hand hält er einen Becher mit Sägespänen, auf seinem Schuh sitzt ein Hundehaufen aus dem Scherzartikelladen. Er geht als Plumpsklo.
Auf kleinen Tabletts werden Pineapple Lumps und Marmite-Kräcker herumgereicht. Marmite ist ein salziger Brotaufstrich aus Hefe, der die Farbe und Konsistenz von altem Schmieröl hat, genau wie das ähnlich gewöhnungsbedürftige Vegemite.
»How do you like New Zealand?«, fragt mich eine Krankenschwester, nachdem sie neckisch mit Lukas’ Klodeckel geklappert hat. Sie strahlt mich voller Erwartung an. Zehn Minuten später fragt eine Air-New-Zealand-Hostess aus den Siebzigerjahren, wie es mir in ihrem Land gefällt. Dann fragt die Assistenzärztin, aus deren blonder Föhnwelle Farnwedel aus Plastik ragen. Der vierte – ein Kathetervertreter als Peter-Jackson-Doppelgänger – könnte es auch einfach mit der Abkürzung HDYLNZ versuchen. Ich reagiere mittlerweile auf Knopfdruck. Mit jedem Mal steigere ich mich, bis hin zum finalen G-Punkt: »It’s Godzone!«
Meine Begeisterung ist nicht geheuchelt, aber kalkuliert: Je überschwänglicher ich klinge, desto glücklicher sieht mein Gegenüber aus. Als ob mit jedem »Oh, we love it!« ein Stückchen vom cultural cringe abgetragen wird. Diesen Beitrag zur Entwicklungshilfe leiste ich gerne. Umgekehrt funktioniert das leider nicht. Denn wann immer mit ausländischen Freunden in Köln oder Hamburg das D-Thema aufkam, konnte ich gar nicht genug Demoralisierendes über mein Land hören. Jedes schlechte Wort war Wasser auf meine linksdrehenden Mühlen. Tiefschürfende Erkenntnis, während ich mich an zwei Hobbits vorbei zum Buffet mit den ironisch gemeinten Retro-Häppchen – Hauptbestandteil: Dosenananas – schiebe: Mein Hang zum Lästern ist genauso ein von Komplexen genährtes Ritual wie das Abfeiern der Kiwis.
Und abgefeiert wird, dass es kracht. Die Band spielt einen Kiwi-Hit aus den Achtzigern. Sänger Dave Dobbyn dürfte außerhalb Ozeaniens nur in ein paar Ex-Pat-Kneipen bekannt sein, was schade ist. Alle grölen bei ›Loyal‹ mit – es war die Hymne der Neuseeländer beim America’s Cup. Der wurde in Auckland zum ersten Mal außerhalb Amerikas gewonnen. Auch Lukas und ich tanzen und summen, aber kennen den Text nicht. Wir spüren die Nostalgie, in der alle schwelgen, doch wir können sie nicht teilen. Kein geschliffener Akzent, keine neue Staatsbürgerschaft würden die Tatsache ändern, dass wir nicht in Kiwianaland aufgewachsen sind.
Lukas gewinnt doch glatt den Preis für das beste Kostüm. Die Krankenschwestern bespritzen ihn johlend mit Sekt. Er bewirft sie mit Sägespänen und kassiert ein paar Küsschen. Großes Hallo und Oldie-Zugabe von der Band.
»Glückwunsch, mein Freund!«
Hamish Dickinson schlägt meinem preisgekrönten Ehemann mit einem Schaumgummischwert aufs Holzdach. Der englische Chefchirurg ist von Kopf bis Fuß in eine Rugby-Montur gekleidet, die ihm um die Brust schlackert. Normalerweise stecken muskelbepackte Spieler aus Samoa in den schwarzen Trikots der All Blacks. Dickinsons Beine staken dünn und blass aus den schwarzen Shorts heraus. An einer Krampfader klebt Konfetti.
»Ihr Deutschen – immer allen technisch voraus, selbst im Toilettenbau, haha!«
Jetzt, wo er nicht mehr in einem Anzug von der Saville Row steckt, klingt sein Lachen weniger bedrohlich. Verkleidungspartys haben einen erfreulichen Nebeneffekt: Sie unterstreichen den Charakter. Verklemmte wirken im Kostüm noch klemmiger, Draufgänger noch dreister, Dumme noch dümmer.
»Anke«, aus seinem Mund klingt mein Name diesmal wie
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