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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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säuerliches Lächeln ab. Er arrangiert die Teller mit den Brotstückchen zurück in eine akkurate Reihe. Rötlich blonde Haare sprießen auf seinen Händen, die locker drei Kilo Teig auf einen Schlag durchwalken können. Mit den Quadratpranken wedelt er eine Fliege weg.
    »Hau ab!«
    Es brodelt in ihm. Er hätte sicher gerne weiter ausgeholt und im Kreise von Gleichgesinnten das beliebte Einwanderquiz ›Was haben wir alles zu beanstanden?‹ gespielt. Und zwar in der Profivariante ›Kein Kiwi hat von irgendetwas Ahnung‹. Aber uns locken die Hammelhoden mehr. Der Meister entrollt einen Fliegenfänger.
    »Kennt ihr beiden eigentlich meine Frau?«, grummelt er.
    Im hinteren Teil des Brotstandes dreht sich eine Frau um, die Buchweizenwaffeln backt. Sie trägt ein im Nacken geknotetes Kleid mit Farnwedelmotiven, streicht sich eine rot gefärbte Rastasträhne aus dem Gesicht und winkt mit dem Schöpflöffel. Es ist Eva.
    Lukas liegt im Gras und schlürft Sangria, in der Seegurkenscheiben und Stückchen vom Pongastamm schwimmen. Otto tunkt Wilderdbeeren in Sahne. Den anderen Gerichten traut er nicht. Ich verabschiede mich kurz von meinem Fotografen.
    »Deine Kursbekanntschaft, diese Eva – die ist doch sehr alternativ?«, sagt Lukas, als ich wiederkomme. Er hat die Augen halb geschlossen.
    »Glaub schon. Und ein bisschen spirituell. Eigentlich ganz nett.«
    »Aber ihr Kerl, dieser Jägermeister, der muss sich mal etwas entspannen.«
    Ich schaue auf die Serviette mit Muschelmotiven und Waffelteigklecksen, auf die ich ihre Nummer gekritzelt habe. Eva Schebbenberg-Olewski.
    »Seltsames Paar.«
    »Ein bisschen mehr Chillen würde vielleicht schon helfen.«
    Der Abend mit Ashana bei meinen Nachbarn fällt mir wieder ein. Jägi im Yogi-Retreat – das wär’s überhaupt. Vielleicht hat er eine akute Chakrablockade und sieht daher nur Unordnung und schlechtes Benehmen. Vielleicht ist er aber einfach zu dem geworden, was ihn so an seiner Heimat gestört hat: konservativ, engstirnig, verbissen. Das ist ein gängiges Phänomen. Man verlässt Deutschland, um den Spießern zu entkommen, und wird dadurch selber zu einem. Hoffentlich sind Lukas und ich gegen diese unheimliche Metamorphose immun. Zur Vorsicht impfen wir uns lieber mit Stechginsterwein. Mein Pappbecher ist schon wieder leer.
    Jeder Meter Gras auf der Festivalwiese ist mittlerweile von Picknickdecken bedeckt. Die Nachmittagssonne knallt auf uns nieder. Die neuseeländische Sonne ist brutal, aber das Licht bestechend. Alle Farben leuchten. Oder kommt das vom Stechginster? Ich knabbere an einem knorpeligen Buschhühnerfuß. Eine Marimba-Band treibt den Geräuschpegel nach oben. Eine Frau tanzt barfuß zum Rhythmus der Xylofone. An ihrem Folklorerock baumelt hinten ein Possumschwanz. Ihre Haare und Arme wirbeln durch die Luft, als ob sie in einem verdorrten Maisfeld Regen für Hokitika und Afrika herbeitanzen will. Wir sind zu satt zum Freilufttanzen. Oder noch zu deutsch.
    Die letzten Kräcker mit Schneckenpastete und Fischaugen in Wackelpudding wandern in Mägen, die vorher mit Moonshine-Likör geölt wurden. Am Grashüpferstand packt ein Mann in Kochschürze und Halstuch das Terrarium ein. Zweitausend Insekten hat er bis zum späten Nachmittag verkauft. Die letzten zwei an eine Vegetarierin, die den Hüpfern das Leben schenken wollte.
    »Die Viecher sitzen jetzt irgendwo zwischen den Dixieklos und freuen sich, dass sie nicht auf einer Scheibe Toastbrot gelandet sind«, berichte ich von meiner Recherche und lege mich zu Lukas ins Gras.
    »Ist schon ein verdammt nettes Land. In jeder Hinsicht.«
    In Lukas’ Gesicht hat sich die Sonne eingebrannt. Bis auf die Stelle, wo Seetang klebt. Oder ist es ein Fischauge?
    »Holst du mir noch ein paar Hammelhoden, bevor sie alle weg sind?«, murmele ich aus der Horizontalen. »Und die Rinderpeniswürstchen musst du unbedingt probieren, als Urologe.«
    Im tasmanischen Ozean geht die Sonne unter. Dutzende kleine Lagerfeuer aus Treibholz flackern nach und nach am Strand von Hokitika auf, eine Lichterkette die Küste entlang. Niemand schert sich an diesem Tag darum, ob das erlaubt ist oder nicht. Niemand, bis auf einen. Jörg Olewski redet am Straßenrand mit einem Polizisten. Verstehen können wir ihn auf die Entfernung nicht, aber wir sehen ihn gestikulieren. Seine Frau steht regungslos daneben. Erst, als der Beamte die Schultern zuckt und freundlich nickt, ziehen Eva und Jörg weiter in Richtung Strand. Wir verlieren sie aus den

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