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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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Interview beim Partyveranstalter vorbei. Er räumt gerade Delfindeko und Seeräuberkisten aus der Halle. Als ich gehen will, schenkt er mir die geräucherten Reste vom Seafood-Buffet, denn »so was Gutes bekommt man oben bei euch in Christchurch doch sicher nicht, was?« Alte Neuseelandweisheit, frisch bestätigt: Je tiefer in der Pampa, desto herzlicher sind die Leute.
    Ab mittags spielt die Oldie-Band von gestern Abend im Pub auf. Vor dem South Seas Hotel sitzen verkatert aussehende Jungmänner und schauen müde all den Damen hinterher, die auf den Transfer zum Festland warten. »Here go the birds«, sagt einer und greift nach seinem Bier: Jetzt ziehen die Vögel von dannen.
    Mit der Arbeit bin ich fertig, aber mit Vögeln noch nicht. Deshalb schlagen wir uns heute Nacht in die Büsche. Ich will unbedingt, bevor ich Stewart Island verlasse, einen nicht ausgestopften Kiwi in freier Wildbahn sehen. ›Kiwi Spotting‹ ist die größte Attraktion auf der drittgrößten Insel des Landes, und Dan Percy veranstaltet die besten Touren.
    In Dans Kutter sind heute nur Frauen an Bord. Unser Reisegrüppchen tuckert auf einen Strand zu, wo sich der scheue Kiwi-Vogel tagsüber versteckt. Nachts kreucht und fleucht er dort angeblich in Massen, weil es so einsam ist. Wir haben Taschenlampen eingesteckt. Es dämmert. Keine Großstadt erhellt hier unten im tiefen Süden den Abendhimmel. Ein paar Sterne funkeln bereits. Claude sieht meinen verklärten Blick Richtung Horizont.
    »Ihr Deutschen seid elende Romantiker, weil es bei euch keine Wildnis mehr gibt. Eigentlich steckt doch ein Caspar David Friedrich in jedem von euch. Vor einer dramatischen Landschaft wollt ihr irgendwas fühlen.«
    Die gefühlte Fahrtrichtung ist Antarktis, die Stimmung an Bord ganz Grzimek. Skipper Dan liefert uns den Soundtrack dazu. Er hat einen kleinen Kassettenrekorder dabei. Sein Steuerrad lässt er nur kurz los, um die Play-Taste zu drücken. Es fiept, gurrt, kreischt. Was wie ein Hühnerhof auf Speed klingt, sind die Brunftschreie eines Kiwis. Dan hat sie in freier Wildbahn aufgenommen. Er zwinkert uns zu.
    »Na, wie gut, dass ihr keine Männer mitgebracht habt!«
    Gut vor allem, dass er im Halbdunkel Claudes Gesichtsausdruck nicht sehen kann. Nach der akustischen Einstimmung schiebt Dan ein Fotoalbum in unsere Richtung. Ich blättere es durch. Es zeigt nichts anderes als zu Tode erschrockene Katzen, im Blitzlicht erstarrt. Dan stellt mit Fallen und Knüppeln allem nach, was seine Einnahmequelle bedrohen könnte: Ratten, Possums, streunende Miezen. Über die Exekutionen führt er akribisch Buch. Schon wieder so ein Hobby, dessen Faszination sich mir entzieht.
    Als wir anlegen, ist es bereits stockdunkel. Wir klettern von Bord.
    »Nicht mehr reden«, schärft uns Dan ein, »und Taschenlampen immer nach unten.«
    Im Gänsemarsch tappen wir einen Pfad entlang. Links und rechts hängen die Schatten niedriger Bäume, über uns der Mond. Das ist schön und geheimnisvoll, auch ohne Kiwis. Unser Spotting-Führer leuchtet ins Gebüsch und bleibt stehen. Er lauscht. Wir lauschen ebenfalls. Da raschelte doch was? Fehlanzeige. Der Taschenlampentross trabt lautlos weiter. Nach einer Weile lichtet sich der Wald. Das Gras in den Dünen teilt sich, und wir stehen am Meer. Ein echter Traumstrand, wenn es nicht gerade mitten in der Nacht wäre. Meter für Meter leuchtet Dan die Sanddünen ab. Er murmelt mehrmals etwas, das so klingt wie »Hier kommen sie normalerweise runter«. Aber nichts kommt irgendwo runter. Kein einziger Kiwi gibt sich zu erkennen. Wir laufen den gesamten Strand zurück.
    »Ich schau noch mal eben da hinten«, sagt Dan und stapft in eine Nachbarbucht davon. Das hören wir jetzt schon zum dritten Mal. Wir warten. Wir pinkeln. Wir leuchten heimlich mit der Taschenlampe aufs Meer. Unsere Karawane setzt sich endlich in Bewegung. An einem Fallenkasten bleibt Dan kurz stehen und linst hinein. Keine Beute. Ebenfalls Fehlanzeige.
    »Ich schau noch mal kurz da hinten«, sagt er und verschwindet im Unterholz, ein Getriebener auf der Suche. Wir warten. Der Mond leuchtet. Leise diskutieren wir Frauen die Lage. Ob wir heute Nacht noch einen Flattermann im Lichtkegel sehen oder nicht, ist uns nach zwei Stunden Strandspaziergang unter Sternen eigentlich längst schnuppe. Aber Dan zuliebe sollte ein Vogel auftauchen, da sind wir uns einig. Keiner will dem gestandenen Kiwispotter und Katzenkiller diese Schande zumuten. Wir haben schließlich nicht für seine

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