Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
gewöhnt sich mein Ohr an die veränderte Geräuschkulisse. Wind, Wasserschwappen, Kaka-Kreischen in der Dämmerung. Der Waldpapagei ist laut und frech. Er lässt sich von den Pensionsbesitzern mit Zuckerwasser anlocken. Das lieben die Touristen, viele sind es ja um diese Jahreszeit nicht. Wer nach Stewart Island kommt, will unbedingt einen Kiwivogel sehen. Nirgendwo ist die Chance so groß, dem scheuen Wappentier in freier Wildbahn zu begegnen. Hunde sind daher auf der Insel so unerwünscht wie Kinderschützer im Vatikan, weil sie den Vogel, der nicht fliegen kann, sofort zur Strecke bringen. Doch die Besucher an diesem Herbstwochenende sind weder Wanderer noch Ornithologen. Sie interessiert in erster Linie das Balzverhalten der Insulaner.
Ich schaue kurz im Backpacker-Hostel vorbei. Dana hat sich ins große Schwarze gezwängt. Ihre Freundinnen ziehen mit vereinten Kräften den Reißverschluss hoch. Die Wodkaflasche ist fast leer und Ex-Müllmann Gary schon ziemlich voll.
»Noch zehn Minuten«, trällert Barbette und winkt mir zu.
Ich gehe zu Claude ins Motel. Sie liegt angezogen auf dem Bett und blättert in einem Buch, ›Jade Country‹ von Theo Schoon. Ihre schweren Stiefel hat sie gegen Lackstilettos ausgetauscht und statt der Filzkappe sitzt auf ihrem Kopf ein enges Mützchen aus gehäkeltem Lurex.
»Ich bin so weit«, verkündet sie, schnappt sich einen Taschenspiegel vom Nachttisch und malt ihre Lippen knallrot an. Ich habe sie bisher noch nie geschminkt gesehen. Die Verwandlung zum Vamp ist vollzogen. Sie greift nach ihrer Kameratasche.
»Zwei Stunden, länger nicht. Und ich warne dich: Wenn es zu schlimm wird, werde ich mich betrinken.«
Es nieselt sanft, als wir auf hohen Hacken den Gemeindesaal von Oban betreten. Er platzt, genau wie Danas Abendkleid, aus allen Nähten. Musik dröhnt uns entgegen.
»Zweihundertfünfzig Eintrittskarten sind weggegangen wie nichts!« Der Veranstalter der Party brüllt mir fast ins Ohr. »Unser Fest ist einfach legendär. Komplett ausverkauft!«
Der Veranstalter sieht wie ein alternder Rockstar aus, sonnengegerbt, schwer sympathisch und in zu engen Jeans. Den Ball hat er eigenhändig aus der Taufe gehoben. Der Mann ist ein Held, wie es nur noch wenige gibt.
»Damals saßen wir an einem Regenabend im Pub. Alles Männer, nur eine einzige Frau. Und die war auch noch verheiratet«, erzählt er, während er uns zur Bar lotst. »Vier von uns tanzten zu ›YMCA ‹, und ich dachte: Das musst du irgendwie ändern.«
Er spendiert den »two nice ladies« erst mal einen Drink. Claude kippt ihren Gin Tonic mit gefrorener Miene hinunter. Der Saal ist mit aufgeblasenen Delfinen dekoriert. Rund um die Bühne stehen Seeräuberschatzkisten. Maritim mutet auch das Schuhwerk einer Besucherin an: Sie hat sich zum pinken Abendkleid in schwarzweiß gemusterte Gummistiefel geworfen. Dana, Barbette und Suzy sieht man die vorschnell geleerte Wodkaflasche bereits an. Sie zucken und wackeln zur Musik der Oldieband. Ich schaue mich um. Die Männer wirken deutlich zurückhaltender und halten sich an Bierflaschen fest, eine Hand halb in der Hosentasche vergraben und leicht zur Musik auf den Fersen wippend.
Claude lässt ihren Blick über die Reihen schweifen. Ihre eisige Zurückhaltung hat sie endlich aufgegeben.
»Ein Mann aus dem Süden tanzt nicht vor zehn Uhr abends oder bevor er sturzbetrunken ist.« Sie schraubt ein Objektiv auf die Spiegelreflexkamera. »Er zieht sich auch nicht schick an, denn dann könnte er als schwul gelten. Gib ihm ein kostenloses T-Shirt, und er trägt jede Biermarke auf seiner Brust spazieren.«
Ich folge ihrem Blick. Sie dreht sich zu mir. Die anthropologische Nachhilfestunde ist noch nicht beendet.
»Ja, ein paar sehen gut aus, aber versuch mal eine Konversation mit denen. Dagegen kommt dir Kaspar Hauser wie Goethe in Höchstform vor. Und falls sie den Mund aufkriegen, ist ihr größtes Kompliment ›nice tits‹. Ich habe dich gewarnt, sweetheart.«
Vielleicht flirten Kiwis einfach anders. Oder gar nicht. Noch so ein Feld, auf dem ich die neuen Spielregeln nicht beherrsche. Ich habe das Gefühl, dass ich mit der Einwanderung schlagartig unattraktiv und asexuell geworden bin, und das liegt nicht an Lukas.
»Die Männer werden entweder ganz rot vor Schreck«, fährt Claude fort, »weil sie dank ihrer christlichen Privatschulen prüde und verklemmt sind. Oder sie geben einen Grunzlaut von sich, greifen nach ihrer Keule und ziehen dich an den Haaren in die
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