Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Kurs. Einführung in die Maori-Kultur. Oben in Northland, wo es richtig ländlich und wild ist. Da leben kaum Weiße, ich meine Pakeha.« Eva klingt begeistert. »Stell dir mal vor: Wir wohnen alle im Marae!«
Das Maori-Versammlungshaus gibt es in jeder Stadt und auf vielen Dörfern. Im Marae findet seit jeher alles Traditionelle statt: Trauerfeiern, Tänze, Treffen der Stammesältesten und Tiki-Figuren-Schnitzen. Heutzutage aber auch Raucherentwöhnung, Bauchtanz oder, wie auf einem Marae in Auckland, Kabbala. Man passt sich an.
Eine Woche Marae – ich bin neidisch. Dafür müssten Touristen eine Stange Geld abdrücken, falls sie überhaupt hineingelassen werden. Glückliche Eva. Sie kann endlich ungehemmt ihrer liebsten Eingeborenenkultur huldigen. Danach wird sie garantiert nicht nur ein läppisches »kia ora« in ihre Konversation einbauen. Nein, sie kann ihre Kleinfamilie – sorry, ihre whanau – demnächst mit »kataou kite kai!« zum Essen rufen. Und Takaka darf dann hoffentlich nicht mehr ihren Hintern auf jeden Tisch pflanzen, denn da sind Maori sehr empfindlich. Ich denke, ein bisschen Bikultur tut den Schebbenberg-Olewskis sicher ganz gut.
»Stell dir vor, sie würden dich als Referendarin in Deutschland eine Woche in ein anatolisches Dorf schicken, um türkische Kinder aus Neukölln besser zu verstehen«, sage ich. »Dieses Land ist schon schwer in Ordnung.«
Evas Gesicht entspannt sich endlich wieder.
»Warum kommst du nicht mit? Kannst doch darüber berichten. Hast du nicht gesagt, dass jemand vom Fernsehen was von dir haben will? Irgendein komischer Kollege von früher?«
Es stimmt. Dietmar Sägel hat sich wieder gemeldet. Aber nicht nur aus touristischem Interesse. Er ist plötzlich von der KREIS -Zeitung zum Privatfernsehen gewechselt und leitet jetzt ein Infotainment-Magazin. Ein Netz von »internationalen Mitarbeitern« will er dafür aufbauen. Intern wird die Sendung nur ›Rotlicht / Blaulicht‹ genannt, aber vielleicht kann ich ja mal einen Kurzbeitrag über ein ernstes oder zumindest ehrenwertes Thema loswerden. Job ist Job, Promis sind Promis, the past is the past – ich rufe in Berlin an.
»Ma-oooris? Sind die nicht so was wie Aboriginals?«
Dietmar Sägel klingt am anderen Ende der Leitung richtig begeistert. Daher verstimme ich ihn lieber nicht mit der Information, dass der Plural Maori bzw. Aborigines heißt. Und die beiden indigenen Völker einander im Lebensstil ungefähr so ähnlich sind wie Indios und Inuit. Apropos Inuit, Stichwort Skandal. Es gibt in Neuseeland daumengroße Figürchen aus Marshmallowmasse, ähnlich den Milk Bottles und blass in der Farbe, die ›Eskimo‹ heißen. Wie der Name und die dicke Kapuzenjacke samt Stiefeln vermuten lassen, handelt es sich hier um einen Polarkreisbewohner, ausgehbereit für die Robbenjagd. Jahrzehntelang verschwanden Tütchen um Tütchen an Eskimos in Kindermündern, und niemand störte sich daran, bis eine junge Kanadierin letztens der Südhalbkugel einen Besuch abstattete. Im Supermarkt blieb ihr die Spucke weg. ›Eskimo‹-Naschwerk sei beleidigend für ihr Volk, die Inuit, beklagte die Touristin sich vor Fernsehkameras, denn ›Eskimo‹ bedeute in der Sprache der Ureinwohner des Nordens ›Rohes-Fleisch-Fresser‹. Der Eskimoeklat hat Aotearoa in Wallung gebracht. Bikulturell hin, Maori her – aber beim Schleckern hört das Verständnis für andere Ethnien auf. Der Süßigkeitenhersteller lehnt es jedenfalls ab, den Namen zu ändern. Ich mache mir jetzt Sorgen um eine andere Kaubonbonsorte. Was, wenn eine Indianerin – hallo, neues Wort gesucht! – in unserem Supermarkt auf ›Red Skins‹ stößt? Rothäute, au weia. Die Rache Manitus ist den Kiwis sicher. Aber das ist nun wirklich kein Thema für Dietmar Sägel.
»Finde ich toll, Frau Richter, wenn Sie echte Ma-ooris kennenlernen können. Wie die leben, all das Exotische, das interessiert uns. Aber nicht im Kochtopf landen, hahaha!« Er fängt sich wieder. »Wir haben demnächst eine Reihe in der Sendung, wo Normalos, also keine Promis, bei irgendwelchen Stämmen im Busch von Afrika oder so leben. ›Allein unter Wilden‹. Vielleicht lässt sich so was ja auch mal mit Ihren Ma-ohren da unten machen?«
Er ist kaum zu bremsen. Wer hätte gedacht, dass sich hinter dem hartgesottenen Boulevardschwein ein feinfühliger Ethnologe verbirgt? Ich sage ihm, dass ich mir den Kurs erst mal anschaue und dann entscheide, ob das überhaupt ein Thema ist.
Um mal wieder
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