Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Hamburger Reeperbahn. Mannomann, was die dort auf der Bühne mit dänischen Doggen anstellen!«
»Bei uns gibt’s halt nicht so viele Schafe«, sagt Lukas.
»Und der Führerbunker in Berlin, das soll jetzt ein Underground-Club für Schwule sein.«
»Baxter, du musst wirklich mal raus aus Neuseeland«, sagt Claude. »Geh doch mal reisen, Darling.«
»O ja. Und wenn ich nach Deutschland komme, dann hoffe ich, dass alle Frauen für mich singen: ›I want to hold your Hans‹.«
Er gluckst. Ich brauche einen Moment länger. Lukas legt ihm die Hand auf die Schulter.
»Kommt, lasst uns nebenan zur Bühne gehen. Ben tritt vor Aaron auf.«
Ben Brown ist unser Dorfdichter und ebenfalls leibhaftiger Maori. Er raucht pausenlos Selbstgedrehte und hat eine Stimme wie Salzlakritz. Ben Brown ist schlaksig, verwittert und undurchschaubar. Er und die Samoanerin Tusiata Avia, die barfuß mit Machete auftritt, sind die besten Poeten weit und breit.
Discokugeln funkeln überm roten Plüsch. Der kleine Saal füllt sich. Ben Brown steht auf der Bühne der Wunderbar, halb ins Licht getaucht, den langen Pferdeschwanz zurückgeworfen, eine Hand am Mikrofon. »YouTube History Blues«, kündigt er sein letztes Gedicht an. Es handelt von Dylan Thomas, von John F. Kennedy und von einem Adolf, dessen Vater Schicklgruber hieß, aber den Nachnamen 1876 änderte. Keine Zeile über Kannibalen, die in Kochtöpfen rühren. Wir fordern eine Zugabe.
Über Nacht hat es frisch geschneit. Nicht in Lyttelton, aber der Gipfel gegenüber auf der Banks Peninsula ist weiß überpudert. Das nächste Skigebiet hat zwanzig Zentimeter Neuschnee und liegt keine zwei Stunden entfernt. Lukas hat an diesem Freitag frei, und so nehmen wir unsere Kinder einen Tag aus der Schule. Beide Klassenlehrer geben ihren Segen dazu. Es lebe die staatlich sanktionierte Unkompliziertheit.
Skifahren ist in Neuseeland nichts Elitäres. Viele Skigebiete sind ›club fields‹, haben statt eines Schlepplifts nur ein Drahtseil zum Einhaken und werden von einem Verein von Privatleuten betrieben. Jeder packt mit an und zahlt dafür weniger. Wir haben ein Picknick dabei, denn um die Mittagszeit sitzt man auf dem Parkplatz unterhalb des Lifts vorm Auto auf Campingstühlen. Profis bringen einen kleinen Grill für ihre Würste mit.
Auf dem Weg in die Berge halten wir hinter der Stadt an einem Skiladen, um Schneeketten auszuleihen. Der junge Mann dort verlangt weder nach einer Kaution noch nach einem Ausweis. Aber zumindest Name und Telefonnummer wird er brauchen?
»Ich heiße Lukas Körner«, sagt Lukas und buchstabiert: »K-o-e-r-n-e-r.«
»Hi, und ich bin Jason. J-a-s-o-n.« Er grinst, aber schreibt nichts auf. »Legt die Ketten einfach auf dem Rückweg wieder in den Schuppen, okay? Wir haben dann schon geschlossen, aber hinten ist ja offen.«
Wir könnten einfach mit den Schneeketten durchbrennen und später auch noch Jasons Schuppen plündern. Aber davon, dass wir schlechte Menschen sein könnten, geht dieser Optimist einfach nicht aus. Jeder andere Kiwi wäre genauso positiv drauf, was Fremde und die Menschheit generell betrifft. Auf so viel Urvertrauen und Unkompliziertheit waren wir nicht vorbereitet. Ja, wo gibt es denn so was? Die Welt um uns herum ist mal wieder schwer in Ordnung.
»Erinnere mich daran«, sagt Lukas und klopft sich die nassen Hände an der Hose ab, als er nach dem Anlegen der Ketten wieder ins Auto steigt. »Wenn ich irgendwann über die Kiwis meckern sollte, dann sag nur ›Schneeketten‹, und ich höre sofort auf.«
Der Wagen frisst sich knirschend die 15 Kilometer lange Schotterstraße zum Skigebiet hoch. Bergbahnen und Gondeln sind hier unbekannt. Elektronische Musik von Tiki Taane wummert durchs Auto und preist auf Maori Himmel, Erde und den Gott der Meere. Die ersten Skifahrer bewegen sich in der Ferne als schwarze Krümel auf weißem Grund. Ein Sonnenstrahl kriecht über die Bergkuppe. Otto zieht sich schon mal seine Skibrille über die Ohren, obwohl er noch angeschnallt auf der Rückbank sitzt. In Plastikvisier und rotem Overall ist er heute Gott der Berge.
Ich probiere es einfach testhalber.
»Schneeeeketten!«
»Wirkt wie Ecstasy«, sagt Lukas und wischt mit dem Handschuh von innen über die beschlagene Scheibe. »Ich könnte sie alle auf der Stelle knutschen.«
Als wir vom Skifahren zurückkommen, ist Lyttelton um ein kleines Wunder reicher geworden. Judy, meine Lieblingsnachbarin, hat in der Nacht entbunden.
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