Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung
Eine unkomplizierte Hausgeburt mit Hilfe von Hypnotherapie und Nicks Händen, die alles vom Keilriemen bis zur Nabelschnur richten können. Das Baby hat noch keinen Namen. Es schläft den seligen Neugeborenenschlaf.
»Zuerst wollen wir die whenua vergraben«, sagt Judy. Sie liegt in einem Himmelbett, das Nick aus Fichtenstämmen gezimmert hat. Der Himmel aus Mullstoff ist mit goldenen Sternchen bestickt. Neben dem Bett steht der Wiegenkorb mit dem schlafenden Säugling und daneben eine Tupperdose. Darin ruht whenua, die Nachgeburt – reif für die Erde.
»Ashana muss bei der Zeremonie unbedingt dabei sein. Aber sie macht gerade eine Virpassana-Meditation.« Judy seufzt. »Da schweigt man fünf Tage.«
Ich kenne mich mit den hiesigen Gepflogenheiten mal wieder nicht aus. Als Otto im Land der langen weißen Wolke geboren wurde, bekam er im Namen der Queen einen Pass geschenkt, den eine Krone, ein Maori-Krieger und eine fahnenschwingende Dame in einer Art Eurythmiegewand zierten. Ich dagegen verlor einen Teil von mir: meinen Mutterkuchen. Mit meiner Zustimmung wanderte der rosagraue Klumpen in den Sondermüll des Kreißsaals. Meine einzige Entschuldigung für dieses Sakrileg ist meine teutonische Herkunft, gepaart mit Ignoranz. Ich hatte keine neuseeländischen Geburtsvorbereitungskurse besucht und kannte das Umfeld kaum, in das ich den neuen Staatsbürger gebar. Sonst hätte ich gewusst, dass nicht nur die Pflege des Säuglings zählt, sondern auch der korrekte Umgang mit der Plazenta. Die Babytorte muss der Erde zurückgegeben werden, allerdings nicht durch die Kanalisation. So fordern es nicht nur bei den Polynesiern die Götter, die Vorfahren und die Hebammen.
Judy hatte das beim ersten Kind noch nicht ganz hinbekommen. Das Loch im Garten unterm Pohutukawabaum war nicht tief genug. Eigentlich sollte die Stelle geheim bleiben.
»Während Ashana gechantet hat und wir uns an den Händen hielten, kam der Hund vom Nachbarn angerannt. Der muss das gerochen haben. Hat es ausgebuddelt und ist damit weggerannt.« Sie schüttelt sich.
Beim zweiten Kind – damals lebten sie gerade in einem Tipi in New Mexico – bestand die Erde nur aus hartem Lehm. Außerdem war es nicht Heimaterde. Daher haben Judy und Nick lieber einen amerikanischen Geburtsratgeber befolgt und das blutige Heiligtum in trauter Runde zeremoniell verspeist.
»Es ist sehr nährstoffreich, wirklich. In dem Buch standen Rezepte.«
Jetzt schüttelt es mich.
»Lass mich raten – danach wurdet ihr zu Vegetariern?«
Das Baby schreit. Es zuckt mit den Fäustchen und kneift die Augen zusammen. Judy nimmt den Winzling hoch und legt ihn sich an die Brust.
»Willst du wissen, was mit der dritten Plazenta passierte?«
Ich brenne darauf.
»Das war die von Pepper. Die haben wir eingefroren, weil wir bald umziehen mussten.« Doch zur Beisetzung im neuen Heim kam es dann nicht mehr. »Jemand brach bei uns ein, als wir auf dem Rainbow-Festival waren. Der hat die Tiefkühltruhe geplündert. Er suchte wohl Steaks.«
Vier Kinder, aber nur eine einzige Plazenta. Was verlangt die bikulturelle Etikette in solch einem Fall? Beileid? Eine Suchmeldung? Es wird Zeit, dass ich auf einen Marae komme und die Feinheiten lerne.
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Komm in meinen Wigwam
»NIMMST DU auch meine Tasche?«
Eva ruft mir hinterher und schiebt den Gepäckwagen weg. Draußen vor dem Flughafen stehen weiße Kleinbusse. Aus einem winkt uns Angie zu, die beste Volleyballerin unter den Studenten. Den Transporter voller Polynesier, Maori und zwei Indern hat sie ›Happy Van‹ getauft. Bei den Weißhäuten in den anderen Bussen geht’s wohl weniger lustig zu. Angie bezeichnet sich selbst als Plastikmaori: »Halb weiß, halb braun«. Und ein bisschen Silber, zumindest an Ohren, Zunge und Nase, denn Angie ist rundum gepierct. Sie nimmt die Ohrstöpsel ihres iPods heraus, als ich einsteige.
»Ihr beiden Deutschen seid wohl gespannt, wie es auf einem Marae ist, was?«
Das sind wir. Angie lächelt uns an.
»Hey, ich bin auch nervös«, sagt sie. »Für viele Pakeha ist es echt schwierig, sich in der Maori-Welt zurechtzufinden. Die meisten wissen doch gar nicht, wie ich groß geworden bin. Na, jetzt haben sie mal die Chance, in meine Fußstapfen zu treten.«
Nach zwei Stunden Fahrt schraubt sich der Autokonvoi des Lehrerkollegs in immer dichtere Subtropen vor. Hinter den Kurven blitzt die türkisfarbene Küste von Northland auf. Dazwischen Kühe, geflickte Schuppen,
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