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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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rostige Autowracks, Wäscheleinen und Kinderfahrräder vor blassgelb oder lindgrün gepinselten Holzhäusern. Zwei Jugendliche sitzen auf ihren Pferden am Straßenrand und rauchen – Maori-Bro Country. Die propere Gartenstadt Christchurch mit ihrer Kathedrale liegt in einem anderen Land.
    »Gut, dass ich mal rauskomme«, sage ich zu Eva.
    Sie nestelt an ihren Haaren. Die Dreadlocks hat sie kurz vor der Abfahrt nachgetönt. Das starke Rot macht sie jünger, aber blasser. Ihr Buch für die Fahrt – ›Neuseelands Maori ABC ‹ – rührt sie nicht an. Ausgerechnet meine urdeutsche Freundin soll bei der Ankunft auf dem Marae die traditionelle Begrüßung aufführen, die nach strengem Protokoll abläuft. Laut Tradition müsste das eine der Maori-Frauen machen, aber da Eva die Älteste in der Truppe ist, wird ihr als Ausländerin ausnahmsweise diese Ehre zuteil.
    »Das hat es im ganzen Land noch nicht gegeben. Mussten die Ältesten erst absegnen«, sagt sie und kramt in ihrer Brotdose mit Muscheldekor nach unbehandelten Apfelringen. Der Happy Van rumpelt durch eine Kurve. Die Schlaglöcher häufen sich.
    »Aber ich werde sie nicht enttäuschen. Hab mich ganz schön ins Zeug gelegt.«
    Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Eva als Maori-Musterschülerin glänzt und jeden Einheimischen aussticht. Sie kennt die Texte von allen Maori-Liedern, bei denen die Samoaner im Bus nur mitsummen und klatschen, auswendig. Sie hat Angie zurechtgewiesen, weil sie für die Zeremonie nicht den vorgeschriebenen langen Rock dabeihat, sondern sich nur ein Tuch über die Jeans bindet. Wenn Angie ein Plastikmaori ist, dann ist Eva die Juteversion: kratzig, aber hundertprozentig. Zu Hause in ihrem Arbeitszimmer hat sie jetzt das Treaty of Waitangi hängen, in einem Mosaikrahmen aus Paua-Stückchen. Jörg hat sie ausgelacht und gemeint, sie solle sich lieber einen anständigen Mietvertrag aufhängen.
    Das Maraeist ein Holzhaus, groß, weiß und schlicht. Es ist das Herzstück des Ortes. Gerade mal neunzig Leute vom Stamm der Ngati Wai leben hier. An einem Baum hängt ein handgemaltes Schild: ›Bitte auf Kinder, Hühner und Katzen achtgeben‹. Der winzigen Dorfschule droht die Schließung. Die Arbeitslosigkeit ist hoch im nördlichsten Teil des Landes, Ärzte und Lehrer sind rar. Doch die Stimmen derer, die behaupten, den Maori würde pausenlos Geld hintergeworfen, werden mehr.
    Als Besucher warten wir aufgereiht am Tor. Die Wiese davor dürfen wir noch nicht überqueren. In der Tür des Marae stehen Leute aus dem Ort, darunter viele Ältere. Eva zupft an ihrer Bluse herum. So adrett gekleidet habe ich sie noch nie gesehen. Selbst die obligatorischen Crocs sind einem Paar Sandalen gewichen. Tevasandalen, aber immerhin.
    Auf dem Rasen steht ein Mann im Bastrock und hält einen Speer in der Hand. Er wirft einen Zweig in unsere Richtung. Ein Student hebt den Zweig auf und guckt dem Krieger starr in die Augen – er hat die symbolische Herausforderung angenommen. Jetzt ist Eva dran. Ihre Hände zittern, aber mit Absicht. Sie hält sie ausgestreckt vor sich und lässt sie flattern wie Vögel. Dabei stößt sie einen Singsang in te reo, der Maori-Sprache, aus. Vom Marae gegenüber antwortet ihr eine ältere Dame mit einem ähnlichen Ruf. So geht das hin und her, über die Lebenden, die Toten, die Studenten, die Autopanne auf der Fahrt und was sonst noch an wichtigen Botschaften übermittelt werden muss, bevor wir den heiligen Rasen überqueren dürfen. Ich bin schwer beeindruckt.
    Wir streifen unsere Schuhe ab und ziehen hintereinander auf Socken ins Versammlungshaus ein. Die Wände des holzgetäfelten Raumes sind mit den Porträts Verstorbener gepflastert. Greise, Kinder, junge Mütter, Soldaten. Jetzt kommt, worauf ich seit meiner Ankunft im Land der langen weißen Wolke gewartet habe: derHongi. Nacheinander bekomme ich von jedem Einheimischen einen sanften Nasenkuss aufgedrückt. Nur Stirn und Nase berühren gleichzeitig das jeweilige Gegenüber. Es hat etwas Warmes und Zartes: Wir hauchen uns gegenseitig symbolisch Leben ein.
    Ich schiele nach rechts. Eva schaut sehr beseelt drein. Den Nasendrücker hat sie sicher nicht zu Hause mit Jörg geübt. Schebbenberg und Olewski sind mittlerweile nicht nur durch einen Bindestrich getrennt. Zwischen den beiden herrscht kompletter Stillstand. Eva will so bald wie möglich ausziehen, hat sie mir auf der Hinfahrt verraten.
    Wir setzen uns im Schneidersitz auf den Boden und werden in der zweiten

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