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Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung

Titel: Was scheren mich die Schafe: Unter Neuseeländern. Eine Verwandlung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anke Richter
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dem Ellbogen an. Sie reagiert nicht. Seit dem Abflug aus Christchurch ist es mit ihrer Lockerheit vorbei. Auch in Ordnung. Aber hoffentlich stößt nicht noch jemand aus unserer Runde ein »Hallelujah!« aus. Unter den Studenten sind einige wiedergeborene Christen, die alle paar Wochen eine neue Evangelisierungskampagne am College starten. Die Schönheitskönigin unter ihnen ist Vivien, ein langmähniges blondes Wesen in knappen Shorts und rosa Polohemd. Vivien kiekst und kreischt beim Lachen, wirft dabei ihre Haarverlängerungen nach hinten und deutet den Jungs spielerische Ohrfeigen an. Mein erster Eindruck sagt mir, dass ihr Verstand ungefähr so klein ist wie ihr Augenaufschlag groß. Eva sagt mir, dass Vivien stolz darauf ist, von den ersten Siedlern abzustammen, Schwule für pervers und Abtreibung für ein Kapitalverbrechen hält. Angie, die handfeste Volleyballspielerin aus dem Happy Van, kann Vivien offensichtlich nicht ausstehen.
    »Angie ist ziemlich in Ordnung«, sage ich zu Eva.
    »Alle hier sind in Ordnung«, korrigiert sie mich. »Wir sind wirklich Glückspilze.«
    Haki Waiomio hat draußen auf der Wiese einen rostigen Grill von der Größe eines Kleinwagens angeschmissen und verteilt fetttriefende Würste mit einer Scheibe Weißbrot und einem großen Klacks Ketchup dazu. Unser Dinner ist jedenfalls schon mal ziemlich authentisch. Ich traue meinen Augen kaum. Eva lässt sich ohne ein Wort des Protests von unserem charismatischen Grillmeister eine Wurst reichen, die garantiert nicht aus Tofu ist. Ich glaube, es wird nicht mehr lange dauern, bis meine Freundin den Vegetarismus höheren Idealen opfert.
    »›Ein voller Magen bringt den Vogel zum Singen und den Menschen zum Lachen‹«, rezitiert Haki beim Servieren und zwinkert in Evas Richtung. Der Schalk sprüht aus seinen Augen, die dunklen Locken fallen fast bis aufs Doppelkinn. Eva schaut ihn an, als sei er der Dalai Lama.
    Angie sitzt kauend neben mir und lässt sich bereitwillig über unseren Kursleiter ausfragen. Er ist der Cousin dritten Grades von einer von Angies acht Tanten.
    »Weil er das jüngste von zwölf Kindern ist, hat er sich in der Schule nicht zu reden getraut. Aus Respekt vor den älteren Geschwistern. So ist das traditionell bei uns.« Angie beißt vom Brot ab. »Aber das hat sich geändert, was? Keiner redet so viel wie Haki. Er hätte Prediger werden sollen!«
    Daraus wurde aber nichts, denn Haki Waiomio kam in jungen Jahren mit zu vielen Drogen und Autoschlössern in Kontakt. Er verschwand kurzfristig ›inside‹, wie der Knast unter Kennern genannt wird. Statt »drinnen« endgültig auf die schiefe Bahn abzurutschen, was meistens mit einer Mitgliedschaft in einer Gang einhergeht, kratzte Haki die Kurve. Studierte, wurde Sozialarbeiter und politischer Aktivist. Er organisierte Protestmärsche, damit Maori einen Teil des ihnen gestohlenen Landes zurückerhielten.
    »Und dann kam die Springbok-Tour«, sagt Angie fast ehrfürchtig. Was den Deutschen die Studentenproteste von 1968 sind, ist den Kiwis der berüchtigte Besuch der südafrikanischen Rugbynationalmannschaft im Jahre 1982. Wer damals links, jung und gegen Apartheid war, ging auf die Barrikaden. Es gab Straßenschlachten, Festnahmen, landesweite Rebellion. Haki Waiomio war mit Megafon und Farbbeuteln dabei.
    »Danach wurde er ruhiger, sagt meine Tante. Jetzt will er lieber helfen als kämpfen.«
    Daher also dieser Umerziehungskurs. Und die Arbeit mit straffälligen Jugendlichen, die Haki im Marae noch nebenbei leistet. Er bringt den jungen Maori Knochenschnitzerei bei. Angie pustet auf ihre Wurst.
    »Durch ihn finden sie ein Stück ihrer Identität wieder.«
    Identität. Das Wort habe ich in den letzten Stunden fast so oft gehört wie Kultur, wobei damit nicht Theater und Klassikkonzerte gemeint sind. Im Sommer geht Haki mit Asthmakranken aus Auckland jagen und fischen. Und einmal im Jahr veranstaltet er einen Ruderwettbewerb für alle Teenager Northlands.
    »Dann paddeln sie im Waka, dem polynesischen Kanu, drei Tage lang die Küste hinunter.«
    Wenn ich all das zusammenzähle, muss dieser legendäre Sprücheklopfer gut und gerne an die fünfzig und ein halber Heiliger sein. Ich schaue mit völlig neuen Augen auf den Maori-Rebellen und -retter, der ein paar Meter von uns entfernt gerade abwechselnd von zwei Grillwürstchen abbeißt. Das Ketchup tropft hinunter.
    »Was kann er eigentlich nicht?«
    »Mit Geld umgehen, sagt meine Tante.« Angie wischt sich mit einer

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