Was sich kusst das liebt sich
gehört hatte, arbeitete sie weiter fleißig an Lucys Biografie. Im Laufe der vergangenen Woche hatte sie sich angewöhnt, jeden Tag mindestens fünfhundert Wörter zu schreiben, was sie auch Keith verdankte, der das letzte Mal, als Charlotte heraufgekommen war, um Neve anzubrüllen, einen glaubwürdigen Auftritt als Kampfhund hingelegt hatte.
» Mir doch egal, wie das war, als du in meinem Alter warst!«, wetterte Celia. » Damals haben die Leute doch nur geheiratet, damit sie Sex haben konnten!«
Das Schreiduell zwischen Celia und ihrer Mutter war noch in vollem Gange, und die Vorbeikommenden verrenkten sich die Hälse. Neve rutschte ans andere Ende der Bank, damit niemand auf die Idee kam, sie mit den beiden rothaarigen, rotgesichtigen Furien in Verbindung zu bringen.
» Es ist immer noch besser, jung zu heiraten, als sich die Nächte in Discos um die Ohren zu schlagen und mit jedem dahergelaufenen Kerl ins Bett zu gehen. Es würde dir ganz guttun, wenn du zur Abwechslung mal ein bisschen weniger trinken und ein paar Abende zu Hause verbringen würdest! Bei deinem liederlichen Lebenswandel ist es ja kein Wunder, wenn du so aufbrausend bist. Nimm dir doch mal ein Beispiel an Neve! Mit ihr hatten wir nie solche Probleme!«
Neve wünschte, ihre Mutter würde sie aus der Angelegenheit heraushalten, und Celia war offenbar derselben Meinung, denn ihr Gesicht wurde so rot wie noch nie. Sie richtete den Zeigefinger anklagend auf ihre Schwester und kreischte: » Neve hat einen Freund, den sie nur benutzt, um sexuelle Erfahrungen zu sammeln, und verliebt ist sie in einen anderen! Sorry, Mum, aber deine ach so brave Tochter führt ein Lotterleben!«
» Du dämliche Kuh«, knurrte Neve drohend, während ihre Mutter zum zweiten Mal an diesem Tag eine Schweigeminute einlegte.
» Ich hab jetzt die Schnauze voll von diesem Mutter-Tochter-Scheiß«, keifte Celia, aber ihr war anzumerken, dass sie ihren Ausbruch bereits bereute. Sie drehte sich um und marschierte davon, mitten durch ein paar Mädchen im Teenageralter, die erschrocken auseinanderstoben. Neve blieb mit ihrer Mutter zurück, die sie anstarrte, als wäre ihr auf der Stirn plötzlich ein drittes Auge gewachsen.
» Es klingt schlimmer, als es ist«, sagte Neve zaghaft. » Ich hab dir bloß nichts davon erzählt, weil…«
» Handtücher. Marks & Spencer«, sagte ihre Mutter mechanisch, als könnte ihr womöglich der Kopf explodieren, sobald sie etwas über Neves Liebesleben hörte.
Sie begaben sich zu Marks & Spencer, wo Mrs Slater zwei Sets pfirsichfarbene Frotteetücher für das in Herbsttönen gehaltene Gästebad ihrer spanischen Villa besorgte, dann machten sie sich auf den Weg nach Finsbury Park, wobei sie die ganze Zeit über munter vor sich hinschnatterte.
Neve erfuhr alles über den Cholesterinspiegel ihres Vaters ( » Er ist viel niedriger, seit er das Kochen übernommen hat, aber wenn du mich fragst, ist eine Soße ohne Butter oder Sahne keine richtige Soße.«), über das stille Leiden ihrer Tante Catherine in New Jersey, die eine Sklavin ihres Reizdarmes war, und über das lückenhafte Wissen ihrer Mutter, was Neves beruflichen Alltag anbelangte.
Sie betraten das Haus, in dem Neve aufgewachsen war und dessen unteres Stockwerk mittlerweile an ein paar Zeugen Jehovas vermietet war ( » Ich halte ja nicht viel von Leuten, die gegen Bluttransfusionen sind, aber als Mieter sind sie in Ordnung. Zumindest bezahlen sie pünktlich die Miete.«)
» Habt ihr in eurer Bücherei eigentlich auch DVD s?«, fragte Mrs Slater, die der Ansicht war, dass es Büchereien nur gab, damit sie sich dort Liebesromane ausleihen konnte, für die sie keine 6,99 Pfund ausgeben wollte. » Mal ehrlich, Neve, zu hast doch nicht studiert, um alten Leuten zu zeigen, wo die Großdruckbücher stehen. Du könntest doch unterrichten!«
» Es ist keine Bücherei, sondern ein Literaturarchiv, Mum.« Neve folgte ihr nach oben. Sie hatten diese Unterhaltung schon tausend Mal geführt. » Und ich glaube nicht, dass ich zum Unterrichten geschaffen bin.« Es wäre die Hölle für sie, vor einer Meute eingebildeter Teenager zu stehen, die lieber eine SMS nach der anderen verschickten als sich anzuhören, was Neve zur Literatur der Postmoderne zu sagen hatte.
» Du solltest es dir überlegen«, sagte Mrs Slater und schlüpfte aus den Schuhen. » Vielleicht bekommst du ja einen Job an einer guten Privatschule, an der es keine Kinder mit Kapuzenpullis gibt und…«
» Ich stelle mal Teewasser
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