Was sich liebt das raecht sich - Roman
sein müssen, um einen derart werbewirksamen Auftritt abzulehnen, und vor allem hatte sie das Gefühl, als hätte sie in den letzten Monaten bereits mehr als genug Menschen enttäuscht. In zwei Tagen würde sie heimfliegen. Ace würde ihr derart fehlen, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie funktionieren sollte, wenn ein Ozean zwischen ihnen läge, aber daran durfte sie jetzt nicht denken. Weil es jetzt um etwas völlig anderes ging.
Als die Band die ersten Takte von Tavvys Lied Obsession spielte, fuhr sich Iris mit der Hand über die Augen und versuchte, sich zu sammeln. Sie öffnete den Mund, brachte allerdings nicht mehr als ein Krächzen heraus.
Ace saß zuhause mit Jerry vor dem Fernseher und versuchte mit wild klopfendem Herzen, Iris mit der Kraft seiner Gedanken beizustehen. Pia und Luisa, die hinter der Bühne standen, hielten einander an den Händen und hofften bei Gott, Iris brächte diesen Auftritt trotz der vielen anderen Dinge, die sie augenblicklich bedrückten, erfolgreich hinter sich, und selbst das Publikum spornte sie wortlos an.
Die Band fing noch einmal von vorne an, doch abermals verpasste Iris ihren Einsatz und umklammerte, da ihre Beine sie fast nicht mehr trugen, wie eine Ertrinkende das Mikrofon.
Tavvy und Caitie saßen um fünf Uhr in der Früh an Lochlins Bett, schütteten, um wach zu bleiben, literweise starken Kaffee in sich hinein und starrten auf den kleinen Fernseher, der von Rosie irgendwo gestohlen worden war.
»O mein Gott, gleich fängt sie sicher an zu stottern.« Tavvy trank den nächsten Schluck des widerlichen schwarzen Krankenhauskaffees. »Sie wird es vermasseln – guck sie dir nur an, sie sieht völlig panisch aus.«
»Sie ist ein wirklich hübsches kleines Ding«, stellte Schwester Rosie fest. Sie interessierte sich eindeutig mehr für Iris’ weich fallendes blondes Haar und das cremefarbene, wie eine Toga geschnittene Kleid als für die Tatsache, dass sie sicher jeden Augenblick an Lampenfieber starb. »Oooh, ich liebe ihre Schuhe.«
Caitie rollte mit den Augen. »Niemand wird sich an ihre Schuhe erinnern, wenn sie nicht gleich endlich singt. Das könnte das Ende ihrer Karriere sein.«
Rosie winkte ab. »Sie wird ihre Sache prima machen, Schätzchen, wart’s nur ab.«
Drüben in Los Angeles räusperte sich Iris und trank einen Schluck Wasser aus dem Becher, mit dem ein Helfer angelaufen kam. Dann riss sie sich zusammen, beugte ihren Kopf über das Mikrofon und setzte mit sanfter Stimme an: »Es tut mir leid. Ich … mein Vater liegt im Augenblick im Krankenhaus, und ich habe fürchterliche Angst um ihn.« Ihre Stimme brach, doch nach ein paar Sekunden fuhr sie fort: »Ich weiß nicht, Dad, ob du oder sonst wer von der Familie mich jetzt sieht, denn ich habe keine Ahnung, wie viel Uhr es jetzt in England ist, aber falls ja, singe ich dieses Lied für euch.«
Dem Publikum entfuhr ein kollektives »Aaah«, und weltweit flogen ihr die Herzen zu. Hinter der Bühne in Los Angeles fielen sich Pia und Luisa erleichtert in die Arme, und im Krankenhaus in London brach Tavvy prompt in Tränen aus, und Caitie hielt ihr ein paar Taschentücher hin.
Iris nickte den Musikern zu, sie fingen zum dritten Mal zu spielen an, und jetzt bekam sie ihren Einsatz hin. Sie
legte all ihr Gefühl in ihren Song, sang mit einer derart sehnsüchtigen Stimme, dass sich ihre Emotion unweigerlich auf die Zuhörer übertrug, und als die Leute Tavvys größten Hit erkannten, stimmten sie in den Refrain mit ein.
Ohne noch an irgendetwas anderes zu denken, bemühte sich Iris, Tavvys Lied gerecht zu werden, während sie in ihrem in der kühlen abendlichen Brise wehenden langen cremefarbenen Kleid mitten auf der großen Bühne stand. Sie hielt das Mikrofon in Richtung ihres mitsingenden Publikums, ging lächelnd auf und ab, und als sie den anspruchsvollen Abschlusston erreichte, senkte sich erst ehrfürchtige Stille über den Zuhörerbereich, dann aber setzte tosender Applaus ein.
»Vielen, vielen Dank.« Sie machte eine geschmeidige Verbeugung. »Bitte verzeihen Sie den verpatzten Anfang. Danke, dass Sie mir noch eine Chance gegeben haben.« Winkend rannte sie von der Bühne, und dort nahmen Pia und Luisa sie strahlend in Empfang.
Im Krankenhaus in England fielen Tavvy, Caitie und die Krankenschwester einander erleichtert um den Hals und vollführten einen kleinen Freudentanz. Lochlin lag reglos in seinem Bett, und während die Geräte weiterhin in einem gleichförmigen Rhythmus piepten,
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