Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
verschmelzen. Umgekehrt haben wir schon bei weniger als sechs Objekten Probleme, wenn diese unregelmäßig angeordnet sind. Davon abgesehen ist der Übergang vom direkten Erfassen zum Abzählen vermutlich fließend: Untersuchungen haben gezeigt, dass die Reaktionszeit bis zur Erfassung schon ab einer Anzahl von zwei Objekten von unter einer Sekunde bei drei auf 3,5 Sekunden bei zehn Objekten kontinuierlich ansteigt. Es ist also schwierig, eine eindeutige Grenze anzugeben, von der anwir zählen und die Zahligkeit von Mengen nicht mehr unmittelbar erfassen.
Ähnliches gilt für unsere Fähigkeit, uns eine Anzahl von Dingen zu merken und im Kurzzeitgedächtnis präsent zu halten. Hier scheint sich ungefähr bei einer Anzahl von sieben etwas zu verändern. Die herausragende Bedeutung der 7 als Grenzzahl für die intuitive Erfassung und Speicherung von Mengen geht zurück auf den amerikanischen Psychologen George Miller, der 1956 in seinem Aufsatz „The Magical Number Seven, Plus or Minus Two“ die 7 als Grenze der Merkfähigkeit von Eindrücken jedweder Art zur anthropologischen Konstante erklärte. Er beobachtete, dass es dem Kurzzeitgedächtnis schwerfällt, sich mehr als sieben Gegenstände oder mehr als sieben Ziffern, zum Beispiel einer Telefonnummer, einzuprägen. Den Grund sieht Miller in der begrenzten „channel capacity“ des Menschen: Bei sieben unterschiedlichen Eindrücken oder Informationseinheiten pro Sinneskanal – Miller spricht von „chunks“ – sei die Grenze der Aufnahmefähigkeit erreicht. Diese Spanne kann auch durch Üben nicht erweitert werden. Allerdings lässt sich durch Strukturierung die Informationsdichte der einzelnen „chunks“ erhöhen. Wir können eine Zahl wie 4901714828289 weder schnell erfassen noch uns merken. Anders sieht es aus, wenn wir ein paar Info-Elemente hinzufügen und Bündel bilden. Dann wird daraus: ++49 (0)171 482 82 89. Wir erkennen sofort eine Telefonnummer, müssen uns den deutschen Ländercode und die gängige Telekom-Vorwahl nur als Tatsachen, nicht als Zahlen einprägen und können die eigentliche Nummer als zwei- und dreistellige Blöcke memorieren. So sind wir in der Lage, uns selbst im Zeitalter von Handys mit ihren Adressverzeichnissen und Kurzwahltasten siebenstellige Telefonnummern einzuprägen, obwohl die wenigsten Menschen das im Alltag noch tun.
Carl Naughton, pädagogischer Psychologe an der Universität Köln und gefragter Vortragsredner, erläutert: „Die Millersche 7 war eigentlich eher ein Zufallstreffer. Aber es ist nach wie vor so, dass sie nützlich ist. Sie bezieht sich auf unabhängige Informationseinheiten. Wenn Sie zum Beispiel den 24.12.1930 nehmen, dann ist das ‚gechunkt‘, weil es ein Datum ist, also eine Silbeneinheit. Wenn ich Ihnen aber diese acht Zahlen einfach so geben würde, dann ist es schwer, sich die zu merken. Von diesen ‚chunks‘ kann man sich fünf bis neun merken, manche Menschen besser, manche schlechter. Der Grundgedanke, derdahinter steckt, ist: Wenn Sie Informationen clustern , zu Sinneinheiten zusammenfassen, können Sie sich mehr merken. Das ist das, was heute auch noch verfängt.“ Millers Text zählt zu den meistzitierten Artikeln der Psychologie und wurde zur Erklärung vieler mit der 7 zusammenhängender Phänomene herangezogen, etwa für die Beobachtung, dass Teamarbeit oder Besprechungen bei mehr als sieben Teilnehmern ineffizient werden. Ist die Gruppe größer, wird sie für den Einzelnen schwerer überschaubar (siehe Kapitel XII).
Heute gehört die 7 als Grenze der Erfassbarkeit zum engeren und unumstößlichen Kanon des Party-Halbwissens: Die Idee von Sieben-auf-einen-Blick verbreitet sich wie andere urban legends viral, ohne dass ihre Multiplikatoren den genauen Ursprung nennen könnten. Die Erklärungskraft der Millerschen Zahl sollte jedoch nicht überschätzt werden – abgesehen davon, dass 7±2 ohnehin eine reichlich unscharfe Angabe ist und neuere Untersuchungen, etwa die des Psychologen Nelson Cowan, die Kapazitätsgrenze der Aufmerksamkeitsspanne des Kurzzeitgedächtnisses auf 4 chunks heruntergesetzt haben. Dass die 7 in vielen Kulturen so häufig und bedeutungsgeladen auftritt, hat sicherlich vielfältigere Ursachen (siehe Kapitel VII), und auch Miller selbst scheint skeptisch, wenn er schreibt: „Vielleicht verbirgt sich etwas Tiefes und Bedeutsames hinter all diesen Siebenen, etwas, das uns dazu auffordert, es zu entdecken. Aber ich befürchte, dass es sich bloß um einen
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