Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
fatalerweise 50 Mikrogramm Masse verloren. Offensichtlich ist es gar nicht so einfach, ein Objekt herzustellen und in einem Zustand zu halten, in dem es keine Moleküle hinzugewinnen oder verlieren kann, und seien es noch so wenige. Deshalb basteln Forscher seit einigen Jahren an Methoden, auch die Massedefinition auf eine Naturkonstante zurückzuführen. Eine Siliziumkugel aus einem gezüchteten Kristall mit einer festen Anzahl von Atomen könnte demnächst zum neuen Ur-Kilogramm werden.
Die Naturkonstanten der Physik und ihre Größenordnungen haben keine direkten psychologischen Auswirkungen, sieht man einmal davon ab, dass Raum, Zeit und Materie die Grenzen unserer Welt wie unseres Bewusstseins bestimmen. Aber ein paar psychologisch wirksame Größen und Intervalle liefert uns die Natur doch, vor allem mit den zyklischen Rhythmen von Sonnenaufgang und -untergang, den Mondphasen und dem jährlichen Lauf der Erde um die Sonne. Aus der Beobachtung der Gestirne entwickelte der Mensch ganz unterschiedliche Kalendersysteme, die sich jedoch alle in der einen oder anderen Weise auf diese Zyklen beziehen. Astronomie und Kalenderkunde gehören zu den frühesten Anwendungsfeldern von Mathematik und Zahlen. Aus dem Sonnenumlauf ergibt sich der Reigen der Jahreszeiten, die im Zusammenspiel mit Regenzeiten und Dürreperioden sowie den einigermaßen regelmäßig wiederkehrenden Überschwemmungen von Nil, Euphrat und Tigris das Lebender frühen Hochkulturen takteten. Und dann sind da noch die biologischen Zyklen vom Werden, Wachstum und Vergehen der belebten Natur, die das Leben weiter strukturieren.
Doch noch einmal zurück zur Physik: Ein von vielen theoretischen Physikern lang gehegter Traum ist es, das bunte Treiben des Universums auf eine einheitliche Weltformel, eine „Theory of Everything“ zu verdichten. Schon Newton glaubte, mit seiner Gravitation diese alles erklärende Universaltheorie gefunden zu haben. Später wiesen Einsteins Relativitätstheorie und die Quantenmechanik diese in die Schranken. Stephen Hawking kündigte 1980 bei seiner Antrittsvorlesung in Cambridge erneut an, dass diese Theorie „noch zu seinen Lebzeiten [...] gefunden“ werde und die Physik damit an ihr Ende komme, blieb allerdings den Beweis bislang schuldig. Heute ist der Schwede Max Tegmark vom MIT überzeugt, dass die Mathematik das Substrat unserer materiellen Welt bilde. Zahlen und Mathematik existierten vor allen Dingen. Und dem Universum entspreche eine Zahlenformel, die nur gefunden werden müsse. Als Beleg dient ihm die unheimliche Kongruenz von Mathematik und Empirie, die von niemandem wirklich erklärt werden könne. Der Glaube an diese Deckungsgleichheit geht so weit, dass Entwürfe wie die Stringtheorie es zu hohem Ansehen in der Physik bringen konnten, obwohl es nur mathematische und keine empirischen Belege für sie gibt. Tegmark glaubt, dass wir alle irgendwann mit T-Shirts herumlaufen werden, auf denen diese mathematische Weltformel ohne Probleme Platz findet.
Interessanterweise handelt es sich bei der Vorstellung von der einen, alles erklärenden Weltformel um ein zutiefst westliches Konzept – wie überhaupt bei der Idee, die Natur folge mathematischen Gesetzen. Oft geht sie einher mit einer gewissen Hybris abendländischer Mathematiker, Physiker oder Philosophen, die durch ihre Großtheorien dahinter kommen wollten, wie Gott tickt. „Gott rechnet“, wusste Carl Friedrich Gauß und konnte sich dabei auf Leibniz stützen, der annahm: „Indem Gott rechnet und seinen Gedanken ausführt, entsteht die Welt.“ Einstein griff den Faden auf und präzisierte, dass Gott zumindest nicht würfelt. Implizit schwang in solchen Einlassungen immer mit, dass man sich Gott, wenn es ihn denn gebe, als einen der ihren vorstellen müsse – als großen Welt-Ingenieur und Mathematiker.
Die radikale Gegenposition zu denjenigen, die den heiligen Gral der Weltformel suchen, vertritt der Physiker und NobelpreisträgerRobert B. Laughlin. Was nicht messbar ist, bleibt für ihn reine Spekulation. Auf der subatomaren Ebene nach der einen und einmaligen Formel zu fahnden, die die Welt im Innersten zusammenhält und alles erklärt, hält er für puren Reduktionismus und plädiert deshalb, so der Titel seines Buches von 2007, für den Abschied von der Weltformel und für eine Neuerfindung der Physik. Statt nach der ultimativen Gleichung zu suchen, solle sich die Physik verstärkt den Phänomenen der Emergenz und Selbstorganisation zuwenden. Die
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