Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
tückischen pythagoräischen Zufall handelt.“
Versprengt findet sich der Hinweis, dass schon John Locke das „Seven Phenomenon“ entdeckt hätte. Tatsächlich findet sich in den Schriften des bedeutendsten Empiristen des 17. Jahrhunderts zwar die Idee einer auf einige wenige Gegenstände begrenzten Aufnahmefähigkeit des menschlichen Geistes, jedoch kein Hinweis darauf, dass die Grenze dieser Fähigkeit bei sieben Objekten liegt. So kann die Existenz des „Seven Phenomenon“ selbst als weiterer Beweis für solches Wunschdenken und die magische Anziehungskraft der 7 angesehen werden.
Neue Freunde hat es im illustren Kreis der Unternehmensberater gefunden, wo die Millersche 7 gerne als goldene Regel für Präsentationen herbeizitiert wird: Nicht mehr als sieben Bulletpoints auf eine Folie! Der amerikanische Informationsdesigner Edward Tufte hält nicht viel von solchen Regeln und sieht das Problem mangelnder Erfassbarkeit vielmehr im Programm selbst: „PowerPoint is evil“, lautete sein Schlachtruf, mit dem er das Microsoft-Produkt einer vernichtenden Kritik unterzog. Es habe nicht nur einen schädlichen Einfluss auf das Denken, unübersichtliche PowerPoint-Präsentationen bei der NASA seien sogar für den Absturz der Columbia 2003 mitverantwortlich gewesen. Befriedigt notierte Tufte deshalb auf seiner Website über einen Vortrag von Miller: „Im September 2000 sah ich George Miller einen Vortrag am Williams College halten, der eine optimale Zahl von Bulletpoints und eine optimale Zahl von Charts verwendete – null.“
Der Charme des Ungefähren
Über die Fähigkeit zur unmittelbaren Erfassung von kleineren Mengen hinaus hat sich im Laufe der Evolution ein Mechanismus zur Verarbeitung von größeren Mengen und Anzahlen herausgebildet. Wir verfügen über einen angeborenen Zahlensinn, den Dehaene als „mentale Repräsentation von Größen“ beschreibt. Dieser Zahlensinn findet sich nicht nur beim Menschen, sondern auch bei vielen Tierarten, wie zahlreiche Untersuchungen mit Ratten, Tauben, Affen und anderen Spezies belegen. Der Zahlensinn funktioniert nicht nach den Regeln unserer Schulmathematik. Vielmehr arbeitet er mit ungefähren Größen. Seine Fähigkeiten beschränken sich auf das Schätzen, Vergleichen, Addieren und Subtrahieren von näherungsweise erfassten Mengen. Genau kann er nur mit Mengen umgehen, die drei oder maximal vier Elemente nicht übersteigen. Bei einer etwas größeren Anzahl schätzen wir aber oftmals immer noch richtig ab. Wir erkennen in der Regel, ohne zu zählen, dass 20 Äpfel mehr sind als 10. Schwieriger ist es, 90 von 80 Äpfeln zu unterscheiden, aber auch das gelingt uns zumeist. Psychologen sprechen hier von einem Größeneffekt: Je größer die zu vergleichenden Mengen bei gleich bleibendem Abstand sind, desto länger die Reaktionszeiten. Ein weiteres experimentell nachgewiesenes Phänomen in diesem Zusammenhang ist der sogenannte Distanzeffekt: Wir können Mengen schneller voneinander unterscheiden, je weiter ihre Größen auseinanderliegen: Den Unterschied zwischen fünf oder sechs Münzen im Portemonnaie nehmen wir weniger leicht wahr als den zwischen zwei und neun.
Im Mathematikunterricht in der Schule sollen uns Größeneffekt und Distanzeffekt ausgetrieben werden. Es geht nicht mehr um Schätzen und ungefähres Vergleichen. Stattdessen lernen die Schulkinder genaues Rechnen und den formalen Umgang mit den Zahlensymbolen.
Der Unterschied zwischen 80 und 90 ist nun genauso groß wie der zwischen 10 und 20, und wir lernen, dass die natürlichen Zahlen ein gleichförmiges Kontinuum bilden. Bei Millionen- und Milliardenbeträgen gerät die Vorstellungskraft zwar weiterhin ins Schlingern, aber der Bereich alltäglicher Zahlen und Größen – etwa von 1 bis 20, vielleicht sogar bis 100 – erscheint nach dem Lösen Hunderter Rechenaufgaben und dem Erlernen des kleinen Einmaleins irgendwann unmittelbar vertraut. Wir können uns ein Bild von diesen Zahlen und den ihnen zugehörigen Größen machen und benutzen sie gleichwertig. Mit anderen Worten: Wir rechnen einfach mit ihnen. Aber hat das Rechnen mit den von jeder konkreten Gegenstandsmenge abstrahierten Zahlensymbolen tatsächlich den ursprünglichen Zahlensinn überformt?
Das führt zu der Frage, wie unser Gehirn eigentlich erkennt, welchen Wert eine bestimmte Zahl besitzt. Das Problem scheint trivial, dennoch birgt es eine Reihe von überraschenden Einsichten, wie Experimente von Psychologen und
Weitere Kostenlose Bücher