Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
Generell wird hier gern der Dreisatz zum Bauprinzip erhoben, oftmals mit dem Verweis auf Cäsars berühmten Ausspruch: „Veni, vidi, vici.“ Nicht nur im einzelnen Satz, auch als Strukturmerkmal großer Reden findet man die 3. Ein jetzt schon legendäres Beispiel dafür ist Steve Jobs’ 2005er-Redean die Stanford-Absolventen, anzusehen auf YouTube. Anhand von drei Schlüsselsituationen aus seinem Leben – „no big deal, just three stories“ – vermittelt der Apple-Gründer darin eine ganze Lebensphilosophie der Unangepasstheit und Besinnung auf Wesentliches.
Wie es im Werkzeugkoffer der großen Redekunst eine Drift zur 3 gibt, ist der Dreisatz auch im alltäglichen Gespräch ganz normaler Menschen ein fester Bestandteil. Die 2008 verstorbene US-Linguistin Gail Jefferson, die sich ihr ganzes Leben lang mit der präzisen Analyse alltäglicher Konversationen und deren impliziten Regeln beschäftigte, hat festgestellt, dass Amerikaner andauernd dreifache Wiederholungen zur Bekräftigung verwenden und unbewusst 3er-Listen auch dort konstruieren, wo es sich erst einmal nicht anbietet. „She just kept looking and looking and looking“, lautet eines ihrer typischen aus dem Redefluss gefischten Beispiele. Wo bei Aufzählungen wie „friends and family“ partout nur zwei Begriffe zur Hand sind, wird so lange gestochert, bis ein dritter gefunden ist, oder einfach mit „or so forth“ aufgerundet. Offensichtlich bildet die 3er-Liste eine Art Goldstandard der natürlichen Konversation, von dem nur in begründeten Ausnahmefällen abgewichen wird: Alltägliche Listen etwa „können nicht nur aus drei Teilen bestehen und tun es in der Regel, sie sollten es sogar“, schreibt Jefferson. Damit ist die 3 nicht nur tief mit unserem Denken, sondern buchstäblich mit der Feinstruktur unseres Alltags verwoben. So tief, dass es mitunter schwerfällt, sich vorzustellen, dass es neben der 3 noch andere Götter unter den Zahlen geben kann.
3 zu 4
Über der Strahlkraft der 3 wird leicht vergessen, dass es sich dabei um Menschenwerk handelt und ihre Vormachtstellung zudem ursprünglich auf den indisch-europäischen Kulturraum beschränkt war. Sie ist keine natürliche Gegebenheit, sondern „Teil der Natur der Kultur“, wie Alan Dundes meint. Zudem weist er darauf hin, dass es in der westlichen Kultur durchaus noch andere weit verbreitete „pattern numbers“ gibt: die 2, die 7 und die 12 zum Beispiel. Gerade die 2 und mit ihr der philosophische Dualismus und die Dichotomie treten zumindest ebenso deutlich als Grundbaustein der abendländischenKultur hervor, wenn man sich gängige Polarisierungen wie Leben/Tod, Körper/Seele oder männlich/weiblich vor Augen führt. Auch die Symmetrien nicht nur des menschlichen Körpers – zwei Arme, zwei Beine, zwei Ohren, zwei Augen – legen nahe, dass der Dualismus das universellere Konzept ist. In der Konsequenz stärkt das auch der 4 den Rücken, die als Quadrat der 2 gleichermaßen ein Hauch von göttlicher Vollkommenheit umweht.
Bei den indianischen Ureinwohnern Amerikas zum Beispiel galt die 4 als magische Zahl, viele ihrer Rituale und Beschwörungsformeln basierten auf der vierfachen Wiederholung. Auch in der abendländischen Tradition gab es immer eine klandestine Subströmung, die die 4 für die eigentlich göttliche oder magische Zahl hielt. Wenn es eine veritable Gegenspielerin der 3 über die Jahrhunderte hinweg gegeben hat, dann war es die 4, die sich nur scheinbar harmlos in ihrer Nachbarschaft aufhält. Vereinfacht gesprochen standen in diesem Konflikt die christlich-philosophischen, aber auch die mathematisch-naturwissenschaftlichen Denker eher auf der Seite der 3, gestützt auf die pythagoräische und platonische Geometrie, während die mystische und alchemistische Fraktion der 4 zuneigte und sich darin unter anderem auf die kabbalistische Tradition berufen konnte. In C.G. Jungs Psychologie beispielsweise, die auf der Theorie des kollektiven Unbewussten, den Archetypen, fußt und aus der Tiefe des esoterischen Mystizismus schöpft, dominieren die 4er-Raster. So setzt sich bei ihm etwa das Bewusstsein aus den vier psychologischen Grundfunktionen Denken, Fühlen, Intuition und Empfinden zusammen.
Zu Beginn der Neuzeit, an der Wende zum 17. Jahrhundert, personifizierte der Streit zwischen dem deutschen Astronomen Johannes Kepler und dem britischen Philosophen Robert Fludd die unversöhnliche Frontstellung von 3 und 4. Kepler gilt als einer der Begründer der modernen
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