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Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Titel: Was Sie schon immer über 6 wissen wollten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holm Friebe
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Weltbildes diese Zahlentricks nicht als reine Spielerei betrachtet, sondern glaubte zumindest ansatzweise an eine überrationale Schicksalsmacht der Zahlen. So spielte er nicht nur regelmäßig Lotto, sondern bastelte auch an einem Algorithmus, mit dem sich die kommenden Lottozahlen vorhersagen lassen würden – was natürlich nie geklappt hat. „Wir dürfen nicht vergessen“, so Hörisch, „dass Goethe auch ein Esoteriker war. Er war Strukturalist und Pathetiker zugleich, der Strukturalismus ist das eigentliche Pathos.“
    So wie Goethe geht es – mit Abstrichen – vermutlich den meisten Menschen. Das Pathos, die Tiefengrammatik und die Symbolik, die in den Zahlen und Ordnungsrastern schlummern, spüren als Schwundstufe auch diejenigen, die nicht dem numerologischen Aberglauben zugetan sind. Und man muss auch kein Freund der von Mystik und Magie durchdrungenen Archetypen-Psychologie C.G. Jungs sein, um festzustellen, dass es so etwas wie ein „kollektives Unbewusstes“ der Zahlen gibt, dass Zahlen Affekte auslösen und jede Zahl Konnotationen, Assoziationen und symbolischen Überschuss mit sich trägt. Die Grenzen zum Irrationalen sind fließend, die Aufladung der Zahlen ist oft willkürlich und nicht frei von Widersprüchen. Bei allen Vorbehalten aus Sicht der strengen Wissenschaftlichkeit, lohnt es sich dennoch, sich dieses untergründige Vokabular der Zahlen anzueignen.



VI.
Vokabular der Zahlen
    „Man kann nicht nicht kommunizieren“ – dieser berühmte Satz des Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick gilt nicht nur für die Sprache, sondern ebenso für den Umgang mit Zahlen. Wenn wir Zahlen benutzen, uns für sie entscheiden oder sie auch nur scheinbar zufällig auswählen, senden wir Signale aus. Nach Ernst Cassirer hat jede Zahl „ihr eigenes Wesen, ihre eigene Natur und Kraft“. Wenn sich bestimmte Zahlen als naheliegende Antwort auf bestimmte Problemstellungen anbieten, weil sie einfach so „in der Luft liegen“, dann sollten wir zumindest wissen, warum sie das tun. Und vielleicht ist die kontraintuitive Wahl an manchen Stellen ja die bessere, geeignetere, in jedem Fall: überraschendere. Wer den Grundwortschatz der Kommunikation mit Zahlen beherrscht, weiß um deren symbolischen Gehalt, um die Wirkung von zahligen Objekten und die Gestaltung mit Quantitäten. Und jeder sollte zumindest das kleine Einmaleins der Zahlensymbolik beherrschen.
    Die 0 und die leere Menge, die sie bezeichnet, sind ein Sonderfall. Eigentlich müssten wir sie ausklammern, denn wo nichts ist, da lässt sich auch nichts ausdrücken oder gestalten. Prominentestes Anwendungsbeispiel für die 0 in der Gestaltung ist deshalb wohl die Doppel-0, die früher in Hotels und schlechten Karikaturen die Toiletten kennzeichnete – und selbst dabei stand die Ziffer im Vordergrund, nicht ihr Zahlenwert. Dabei lässt sich, wie es Robert Kaplan in Die Geschichte der Null tut, auf faszinierende Weise nacherzählen, wie die 0 aus Indien erst spät und gegen enorme Widerstände nach Europa gelangte, um dort eine schleichende Revolution anzuzetteln (siehe Kapitel II). Wo die Ziffern über das Stellenwertsystem ins Rutschen gerieten, war nämlich auch die ständisch-hierarchische Ordnung bedroht. Somit deutete die 0 „auf Wandel hin, auf das Ende der langen Erstarrung“, schreibt Kaplan und illustriert: „So wie der Raum in der Malerei, der hierarchisch geordnet gewesen war – das heißt, die Größeder Gestalt entsprach ihrer Bedeutung –, bald durch den Fluchtpunkt, eine visuelle Null, in Perspektive gerückt werden sollte, war die Null der Stellenwertschreibung der Vorbote einer Neuordnung des sozialen und politischen Raumes.“
    Deshalb haftet der 0 in Europa seit ihrem Import etwas Unheimliches und Bedrohliches an, abgesehen davon, dass das Nichts per se bedrohlich ist. Den Mächtigen, Frommen und Obrigkeitshörigen war sie deshalb suspekt, während sie auf die Anhänger des Okkulten und Obskuren von jeher eine magische Anziehung ausgeübt hat: In der Alchemie erscheint das umrandete Nichts als Symbol der ringförmig verlaufenden alchemistischen Transformation, dargestellt in Form eines Drachens, der seinen eigenen Schwanz verschluckt. In C.G. Jungs Traumdeutung wird daraus ein Symbol der Selbstfindung. „Tatsächlich leuchtet der perfekte Ring der Null immer dann vor unseren Augen, wenn wir an unserem Verstand zweifeln“, schreibt Robert Kaplan über den abgründigen Charakter der 0. Als „Zahl des weisen Narren“

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