Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
Alan Dundes: „Man kann sich Essen, Kleidung, Erziehung, gesellschaftliche Organisation, Religion, Zeit oder irgendeinen anderen Aspekt der amerikanischen Kultur anschauen und wird ausufernde Beispiele für Trichotomien finden. Auch wenn vielen Amerikanern dieses Muster niemals bewusst wird.“ Bleibt noch zu unterstreichen, dass die Durchdringung der Kultur durch die 3 weder auf Amerika beschränkt ist noch auf Folklore und Populärkultur.
Beim Wort „Triade“ denken viele zuerst an die chinesischen Mafia, doch als dreiteilige Grundfigur prägt sie die unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen. Die Psychiatrie unterteilt seelische Erkrankungen nach dem triadischen System in organisch, endogen und psychisch. In der Familientherapie besteht die Triade aus Vater, Mutter und Kind, in der Kriminalistik aus Täter, Opfer und Helfer. Bis zum Aufstieg der Schwellenländer China und Indien fand alles, was in der Weltwirtschaft Bedeutung hatte, innerhalb der Triade statt: in den großen Wirtschaftsräumen Nordamerikas, der Europäischen Union und im industrialisierten Ostasien.
In seiner Untersuchung Die Zahl Drei und die Soziologie zeigt der ungarisch-deutsche Soziologe Bálint Balla, wie stark triadische Muster die Wissenschaften durchdringen und so das Denken vorformen. Zu den bekanntesten Konzepten, die das abendländische Denken geprägt haben, gehört in der Soziologie etwa die Dreiteilung der Gesellschaft in Ober-, Mittel- und Unterklasse. In der Nachbarwissenschaft der Psychologie sticht Sigmund Freuds berühmtes Konzept von den drei „Instanzen“ des psychischen Apparates heraus, die Stratifikation des Bewusstseins in Es, Ich und Über-Ich. Bis in die Architektur von Einkaufszentren strahlt dieses Modell der drei Ebenen. Im Dezember 2010 schrieb der Spiegel über das Erfolgsrezept von ECE, die in ganz Deutschland über 130 Einkaufscenter betreiben, welche immer nach dem gleichen erprobten und gut austarierten Schema dreigeschossig aufgebaut sind: „Die Etagen-Dreifaltigkeit ist eine fast schon magische Zahl geworden.“
Mehr noch als das statische 3-Schichten-Modell dominiert das 3-Phasen-Modell der zeitlichen Abfolge, das schon in der Zeitstruktur aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft angelegt ist. (Interessanterweise taxieren Hirnforscher den Zeitraum, den wir als Gegenwartempfinden, auf drei Sekunden.) Die Hegelsche Dialektik ist als ein solcher Dreischritt aufgebaut: Eine These provoziert als Widerspruch die Antithese, beide verdichten sich auf der nächsthöheren Ebene zur Synthese. Alan Dundes erkennt in der dialektischen Methode ein gängiges Muster: Indem die ursprüngliche Polarität zweier Extreme aufgesplittet und eine versöhnende neue Ebene eingezogen wird, entstehen Trichotomien, also 3er-Raster.
Es gibt einige, die in der Dreiteilung nicht bloß eine heuristische Methode oder kulturelle Konvention sehen, sondern eine Art anthropologische Grundstruktur, nach der das menschliche Bewusstsein funktioniert. Bei den Beratern von McKinsey etwa ist man überzeugt, dass das menschliche Gehirn auf die „rule of three“ geeicht ist und Inhalte so am besten konsumiert und verstanden werden. Deshalb wird darauf geachtet, dass alle Präsentationen dreiteilig sind und sich in Schritte gliedern wie „gestern – heute – morgen“ oder „Welt – Organisation – Individuum“.
Und tatsächlich scheint das menschliche Lernen so zu funktionieren: Erst bei der dritten Wiederholung gehen Lerninhalte ins Langzeitgedächtnis über. Ein einzelnes Ereignis interpretieren wir als Singularität, beim zweifachen Auftreten kann es sich noch um zufällige Koinzidenz handeln, erst beim dritten Mal wird ein Muster erkennbar. Deshalb gilt im Journalismus und in der Trendforschung die Faustregel: „Drei Belege sind ein Beweis.“ Erst wenn es gelingt, drei unabhängige Beispiele anzubringen, die eine These stützen, überzeugt man das Publikum davon, dass das behauptete Phänomen tatsächlich existiert.
Für den Radiojournalismus, der in besonderem Maße mit der Flüchtigkeit seiner Inhalte zu kämpfen hat, formulierte der erste Direktor von CBS-News, Paul White, deshalb das Dogma dreifacher Redundanz. Die nach ihm benannte White-Regel lautet: „Sag ihnen, was du ihnen sagen wirst, sag es ihnen und sag ihnen, was du ihnen gesagt hast!“ – sie wird heute nicht nur von den Nachrichtensprechern auf Deutschlandfunk treu beherzigt, sondern auch als eherner Grundsatz in Rhetorik-Seminaren gepredigt.
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