Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
Vater, Sohn und heiliger Geist letztlich eine männliche Dreiecksbeziehung bilden. Das Schöne am Erzählen mit Zahlen ist, dass am Ende immer die Interpretation bleibt.“
Lassen wir also präpotente Männerfantasien und psychoanalytische Spekulationen beiseite, dann erkennen wir hier den Schlüssel für die ästhetischen Vorzüge der ungeraden Zahlen: Wie beim Blumenstrauß kommt es darauf an, dass die Mitte kein leeres Zentrum ist. Zwar lässt sich auch eine gerade Anzahl symmetrisch ordnen, die Zweiteilbarkeit ist ihr ja quasi eingeschrieben. Aber die Wirkung der Symmetrie wird verstärkt durch einen Schwer-, Dreh- und Angelpunkt, um den herum sich das ganze System arrangiert. Erik Spiekermann, der schon in seinem ersten Layoutkurs gelernt hat, dass in der typografischen Gestaltung 3 besser sei als 4, und 5 besser als 6, beschreibt das aus seiner Praxis heraus so: „Ungerade ist viel rhythmischer zu machen. Die ungerade Zahl wirkt viel symmetrischer, weil sie eine dominante Mitte hat. Klar kann man 4 in 2 und 2 aufteilen, aber dann hat man wieder keine Priorität. Die Mitte ist ja nicht nichts, sie ist ja etwas. Ein Dach hat ja auch einen Giebel, damit das Wasser runterlaufen kann. Deshalb ist in der euklidischen Geometrie auch das Dreieck die erste Figur, nicht das Quadrat. Die 4, das ist ja eigentlich ein Haus mit Flachdach. Deshalb würde ich immer auf 5 aufrunden.“
Entgegen der volkstümlichen Redewendung ist unter Gestaltern also eher der Impuls verbreitet, auch mal 4 oder 6 ungerade sein zu lassen, um eine echte Mitte zu erzeugen. Egal, ob man diese nun metaphorisch als Glied oder Giebel interpretiert, leitet sich daraus auch her, warum man in Listen und auf PowerPoint-Charts dem mittleren Element besondere Aufmerksamkeit schenken sollte.
In seiner Mustertheorie identifiziert der Architekt und Philosoph Christopher Alexander „starke Zentren“ als eine der 15 Eigenschaften, die lebendige oder lebendig wirkende Systeme vom Zellkern bis zum Sonnensystem kennzeichnen. Zudem seien diese Systeme häufig durch einen hohen Grad lokaler Symmetrie gekennzeichnet. Nun ist Symmetrie längst nicht das maßgebliche Bauprinzip in der Gestaltung und kann mitunter sogar etwas langweilig und einfallslos wirken. Als dunkle Materie ist sie aber im Hintergrund wirksam und erklärt die geheimnisvolle Gravitation der kleinen ungeraden Primzahlen.
3 rules!
Die elementarste Form einer um eine Mitte herum gebauten Symmetrie ist die 3. „Nichts ist bedeutender als die Dazwischenkunft eines Dritten“, heißt es in den Wahlverwandtschaften . Die ursprüngliche Symbiose von Eduard und Charlotte wird gestört, als der Hauptmann Otto ins Spiel kommt. Erst als später Ottilie hinzustößt, löst sich die spannungsreiche Konstellation in einer Viererbeziehung über Kreuz auf. „Dominant ist eindeutig die Dreierzahl“, meint Jochen Hörisch, der den Roman daraufhin einmal durchforstet und erstaunlich viele Bezüge gefunden hat. Auch Dantes Göttliche Komödie wimmelt von der 3, die hier einen eindeutigen Bezug zum Göttlichen hat. Die drei Jenseitsreiche spiegeln sich in den drei Teilen des Werkes, die jeweils in 33 Gesänge untergliedert sind.
In der Kunstgeschichte entspricht dieser symbolischen Dreierordnung das Triptychon. Seit dem Mittelalter finden sich dreiteilige Altäre in Kirchen von Spanien und Italien bis nach Deutschland und in den Niederlanden. Und bis heute erzeugt allein schon das dreigeteilte Tafelbild eine Aura des Sakralen, selbst wenn gar keine christlichen Motive abgebildet sind. In der modernen und zeitgenössischen Kunst fungiert es als „Spiritualitätszentrifuge“, wie der Kunstkritiker Peter Richter anlässlich einer Ausstellung über das Triptychon Anfang 2009 im Kunstmuseum Stuttgart in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung schreibt: „Man hat das Triptychon in der Moderne als einen Altar ohne Gott bezeichnet und es als Warburgsche Pathosformel gedeutet. Man könnte sie sogar Pathos-Pumpen nennen: Die Dreiteilung hebt selbst Triviales auf die Ebenen höherer Bedeutsamkeit.“
Natürlich speist sich die sakrale Aufladung der 3 im Westen aus der christlichen Dreifaltigkeit oder Dreieinigkeit. Diese Novität im Religionsdesign, drei identitätsstiftende Charaktere – Vater, Sohn und heiligen Geist – so zu einem höheren Wesen zu amalgamieren, dass sie gleichzeitig identisch sind und doch identifizierbar bleiben, ist wohl einer der zentralen Kunstgriffe des Christentums. Stiftete es doch eine
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