Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
die wir in Kapitel I besichtigt haben. Deshalb gerät die Zahlenpsychologie hier in eine Grauzone. Zum einen haben wir eine sehr konkrete und anschauliche Vorstellung davon, was Geld bedeutet, wenn wir es als Münzen in der Tasche haben, als Scheine aus dem Geldautomaten ziehen, im Geschäft oder Restaurant damit bezahlen. Bei Bargeld haben wir ein gutes Gefühl für den Wert, den es verkörpert, und eine plastische Idee davon, welche Mühen es gekostet hat, es zu verdienen. Anders sieht es schon beim sogenannten Buch- oder Giralgeld aus: „Geld auf einem Bankkonto ist etwas Wichtiges, aber nichts Physikalisches“, schreibt Nassim Nicholas Taleb. „Es kann jeden beliebigen Wert annehmen, ohne dass dafür Energie verausgabt werden müsste. Es ist bloß eine Nummer!“
Diesen kategorialen Unterschied bestätigt auch der Galerist Gerd Harry Lybke, genannt Judy, aus eigener Erfahrung: „600 Euro tun manchmal mehr weh als 6.000, weil man 600 Euro noch in bar auf den Tisch zählen kann. Das dauert richtig lange. 6.000 Euro zu überweisen ist dagegen eine abstrakte Kontobewegung.“ Bei bargeldlosem Zahlungsverkehr und Zahlungen per Kreditkarte sitzt das Geld lockerer, weil die unmittelbare Anschauung fehlt – einer der Gründe, warum in den USA, wo jeder Bürger im Schnitt 7,6 Kreditkarten besitzt, der private Schuldenstand sehr viel höher liegt als im Rest der Welt und die Anzahl der Privatinsolvenzen steigt. Die jüngere Hirnforschung wartet mit einer insgesamt wenig überraschenden Erklärung dieses Phänomens auf, dass nämlich Geldausgeben das Schmerzzentrum im Gehirn, die sogenannte Insula, aktiviert. Allerdings tut es das stärker, wenn wir reales Geld ausgeben. Bei Überweisungen und Kreditkartenzahlungen tritt dieser Effekt in weitaus geringerem Maße auf.
In der ökonomischen Theorie gilt hingegen frei nach Gertrude Stein: Ein Euro ist ein Euro ist ein Euro – egal in welchem Aggregatzustand, ob Scheine oder Münzen, digital oder analog. Für Ökonomen bildet Geld ein allgemeines Äquivalent zu allen anderen Waren, ein Äquivalent, das sich laut Georg Simmel gerade wegen seiner „Farblosigkeit und Indifferenz“ zum „Generalnenner aller Werte“ eignet. Für den homo oeconomicus wäre jede qualitative Unterscheidung von Geld nicht nachvollziehbar und irrational – und doch wird genau die von Menschen im Alltag andauernd getroffen. Psychologisch spielt es eine erhebliche Rolle, woher das Geld stammt, das wir ausgeben, und in welcher Darreichungsform wir damit hantieren.
Die Princeton-Soziologin Viviana Zelizer hat die unterschiedlichen subjektiven Qualitäten von Geld im Alltag erforscht, für die die Ökonomie blind ist. In ihrem Buch The Social Meaning of Money beschreibt sie, welch gravierenden Unterschied es im privaten Bereich für Menschen macht, ob das Geld vom regulären Gehaltsscheck stammt, aus einer Erbschaft oder aus einem Lottogewinn kommt und in welche Kanäle es fließt. Auch wenn das Geld letztlich über dasselbe Konto fließt, wird es im Kopf mit einer „moralischen Ohrmarke“ versehen – ähnlich wie beim Ökostrom, der zusammen mit dem Atomstrom aus derselben Steckdose kommt. In der Vorstellung werden so bestimmte Beträge und mental geschnürte Geldbündel mit einer Bedeutung aufgeladen, die sie für bestimmte Verwendungsweisen prädestiniert: Das ererbte Geld von Tante Anni bleibt für die Altersvorsorge auf dem niedrig verzinsten Sparkonto liegen, auch wenn es ökonomisch natürlich sinnvoll wäre, damit erst einmal den überzogenen Dispo auf dem Girokonto auszugleichen.
Selbst auf der Ebene des politischen Diskurses und der administrativen Praxis finden sich diese differenzierten Widmungen wieder: Die Gelder aus der Ökosteuer fließen in die Senkung der Lohnnebenkosten, und jene aus dem Emissionshandel sollen ausschließlich zur Förderung erneuerbarer Energien zur Verfügung stehen. Allein die Tatsache, dass man hier von Geldern im Plural spricht, deutet schon darauf hin, dass es sich bei Geld in unserer Vorstellung – und damit auch im alltäglichen Umgang – um alles andere als ein homogenes und unpersönliches Gut handelt.
Unsere Einstellung zum Geld schwankt nicht nur mit der Art und Herkunft, mit unserer Vorstellung, um welches Geld es sich dabei handelt, sondern natürlich auch mit der absoluten Höhe des verfügbaren Vermögens. Zwar macht Geld nur bis zu einer bestimmten Grenze glücklich: Der ebenfalls in Princeton lehrende Ökonom Angus Deaton legte zusammen
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