Was starke Männer schwach macht
Natürlich nicht in der Größenordnung von Treys riesigem Haus in Highland Park, aber zumindest eins mit Veranda und Blumenkästen vor den Fenstern. Und einem richtigen Garten, vielleicht mit einer Terrasse, wo sie sonntagmorgens die Zeitung lesen konnte, einen Golden Retriever neben sich.
Aber vorerst musste sie sich mit diesem kleinen Apartment hier zufriedengeben. Immerhin war es mietfrei.
Nervös hielt Julie die Luft an, bevor sie die Tür öffnete. Verglichen mit dem Dreck und Durcheinander in der Bar war Bradys Wohnung überraschend sauber und ordentlich. Sie passte irgendwie nicht zu dem faulen, ungepflegten Schnorrer aus den Schilderungen ihrer Mutter.
Julie machte sich zunächst auf die Suche nach Wertgegenständen, entdeckte jedoch nur zwei alte Gemälde und ein paar antike Wandteller.
Das einzige Möbelstück im Schlafzimmer war eine Kommode. Irgendjemand musste Bradys Sterbebett entfernt haben. Gott sei Dank, da drin hätte sie bestimmt kein Auge zugekriegt!
Julie kehrte wieder ins Wohnzimmer zurück und setzte sich auf das zerschlissene Sofa. Damit würde sie sich nachts vorerst begnügen müssen. Belinda würde sich bestimmt freuen, ihr Zimmer im Haus ihrer Eltern zurückzubekommen. Die Schwestern hatten sich nämlich in den letzten Wochen einen Raum teilen müssen, genauso wie in alten Zeiten.
„Und?“, fragte Belinda. „Wirst du hier einziehen?“
„Na klar. Ich habe schon schlimmere Unterkünfte gehabt.“ Verglichen mit ihrem ersten Zimmer im Dachgeschoss eines alten Hauses war Bradys Wohnung der reinste Palast, wenn auch natürlich kein Vergleich zu ihrer letzten Unterkunft – einem schicken Stadthaus in Park Cities, das Treys Eltern ihr vermietet hatten.
Außerdem konnte sie sich sowieso keine andere Wohnung leisten. Gott sei Dank hatten Treys Eltern ihr für ihr Stillschweigen über die Affäre eine hübsche Abfindung angeboten, die sie bereitwillig akzeptiert hatte – obwohl sie ohnehin nicht vorgehabt hatte, jemandem von dem Kind zu erzählen, das Trey mit seiner Geliebten gezeugt hatte.
Inzwischen kam ihr das Geld zugute. Es würde reichen, um sich damit bis zur Eröffnung des Tearooms über Wasser zu halten.
„Die Aussicht von hier ist wirklich klasse“, sagte Belinda verträumt.
Julie konnte nur die alte Feuerwache erkennen, ein einhundert Jahre altes Ziegelgebäude, das dringend mal mit dem Sandstrahler behandelt werden musste.
Doch dann sah sie das offene Fenster, hinter dem sich gerade ein Mann sein T-Shirt auszog. „Belinda!“, rief sie schockiert.
„Was ist? Gucken ist doch erlaubt, oder?“
Julie gesellte sich zu ihrer Schwester. Der Mann nahm gerade eine Hantel, um seinen Bizeps zu trainieren. Es handelte sich um keinen Geringeren als ihren Feuer bekämpfenden Adonis. „Das macht der doch bestimmt mit Absicht!“, sagte sie irritiert.
„Na klar doch! Er weiß natürlich genau, dass wir gerade hier oben sind und aus dem Fenster starren. Du spinnst total, Julie. Du bist echt paranoid!“
Vielleicht war sie das ja wirklich.
Aber war das so verwunderlich? Unwillkürlich musste Julie wieder daran denken, wie Trey sie mit seinem Charme umgarnt und schließlich rumgekriegt hatte. Sie hatte sich ernsthaft in ihn verliebt; er war gut aussehend, intelligent, ehrgeizig, lustig, großzügig …
Aber leider auch untreu.
Sie hatte sich von ihm blenden lassen, doch das würde ihr nicht noch einmal passieren! Von jetzt an würde sie sich auf ihre berufliche Zukunft konzentrieren und sich nur noch auf sich selbst verlassen.
In diesem Augenblick schien Tony zu bemerken, dass sie ihn beobachteten, denn ein selbstgefälliges Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Abrupt klappte Julie die Fensterläden zu.
„Hey!“, protestierte Belinda.
„Der Typ ist sowieso viel zu alt für dich.“
„Aber nicht für dich. Vorhin hat er dir übrigens auf den Po gestarrt.“
„Wirklich?“, fragte Julie, gegen ihren Willen freudig überrascht. „Na ja, das macht er bestimmt bei allen Frauen.“
„Bei mir nicht. Außerdem ist er dein zukünftiger Nachbar. Du solltest vielleicht etwas freundlicher zu ihm sein.“
„Nein, sollte ich nicht!“ Tony Veracruz bedeutete nämlich nur Ärger, und zwar mit einem ganz großen Ä. Und den konnte sie gerade beim besten Willen nicht gebrauchen.
„Willst du uns nicht endlich erzählen, was da drüben passiert ist?“, fragte Priscilla ungeduldig. Sie, Ethan, Tony und ein paar andere Kollegen schlugen gerade die Zeit bis zum
Weitere Kostenlose Bücher