Was starke Männer schwach macht
war.
Aber es war einfach zu gefährlich. Was war, wenn er ihren Entschluss doch ins Schwanken brachte? Sie zweifelte ohnehin schon an ihrem Urteilsvermögen, seitdem sie herausgefunden hatte, dass der Mann, den sie liebte, sie monatelang betrogen hatte. Sie brauchte daher jetzt dringend Menschen um sich, die sie aufbauten und sie in ihren Plänen unterstützten.
Schließlich ging es nicht nur um sie selbst, sondern auch um Belindas Zukunft. Julie wollte, dass ihre kleine Schwester die Chance bekam, etwas aus sich zu machen. Sie würde nicht zulassen, dass ihr dabei jemand Steine in den Weg legte. Weder ihre Eltern noch die selbstsüchtigen Davidsons … und ganz sicher nicht irgendein Feuerwehrmann, der aus sentimentalen Gründen an einer abgewrackten Bar hing.
Ganz egal, wie sexy er war.
„Tut mir leid, Tony“, antwortete Julie kühl. „Ich freue mich über Ihre Einladung, aber ich habe einfach zu viel zu tun.“ Das stimmte sogar.
„Okay, dann eben ein anderes Mal. Ich muss jetzt zur Arbeit zurück.“ Tony schenkte Julie sein umwerfendstes Lächeln, winkte ihr zum Abschied zu und verschwand durch die quietschende Eingangstür nach draußen.
Hoffentlich hatte er das mit dem nächsten Mal nicht ernst gemeint. Julie bezweifelte nämlich, dass sie genug Willenskraft besitzen würde, eine zweite Einladung abzulehnen.
2. KAPITEL
„Ich habe Onkel Brady nie kennengelernt, oder?“, fragte Belinda, als sie und Julie die Treppe zu seiner früheren Wohnung hochstiegen.
„Nein, ich glaube nicht.“ Auch Julie hatte nur eine vage Erinnerung an den großen kräftigen Mann, der einmal an Thanksgiving mit einem Kuchen bei ihnen zu Hause aufgetaucht war, zu viel Wein getrunken hatte und schließlich gebeten wurde, zu gehen.
„Er hat Mom ab und zu einen Scheck geschickt, ihren Anteil am Gewinn von Brady’s Tavern . Ansonsten hatten sie so gut wie keinen Kontakt. Mom hat ihm zwar jedes Jahr eine Weihnachtskarte geschickt, aber er hat nie darauf reagiert.
„Tony hat gesagt, dass er ein toller Mensch war.“
„Wahrscheinlich hat Onkel Brady ihm nur öfter einen ausgegeben.“ Doch Julie bekam Tonys Lobeshymnen über Onkel Brady einfach nicht mehr aus dem Kopf. Wenn er recht hatte, war Brady ein warmherziger und großzügiger Mann gewesen. Das glatte Gegenteil des Taugenichts also, als den ihre Mutter ihn ihr immer geschildert hatte.
„Was glaubst du, wie viel Geld wir für den ganzen Kram da unten bekommen?“, fragte Belinda.
„Ich muss mich erst noch erkundigen, aber für die alten Neonschilder kriegen wir bestimmt einen guten Preis.“
„Und was ist mit den grünen Lampenschirmen? Hat Trey nicht auch solche?“
Julie schnaubte verächtlich. „Treys sind nur Reproduktionen. Die hier sind echt. Vielleicht behalte ich sie sogar. Sie würden im Tearoom bestimmt sehr hübsch aussehen, findest du nicht?“
Belinda zuckte nur gleichgültig mit den Achseln. „Behältst du auch die Jukebox?“
„Nein, die werde ich verkaufen. Es ist ein alter Wurlitzer. Schon allein die Vinylschallplatten sind ein Vermögen wert.“
Belinda seufzte traurig.
„Was ist los?“, fragte Julie verwundert.
„Ach, ich finde es irgendwie traurig, dass hier alles zerstört wird.“
„Soll das ein Witz sein? Die Bar ist ein totaler Schandfleck.“
„Stimmt, aber dieser Tony hat vielleicht gar nicht so unrecht. Wenn du hier alles gründlich sauber machst, sieht es vielleicht gar nicht so übel aus.“
„Kommt nicht infrage! Nie im Leben werde ich eine Bar betreiben.“
Belindas Tearoom würde einfach traumhaft schön werden. Ihre Pläne mochten den Feuerwehrleuten vielleicht nicht gefallen, aber die anderen Anwohner würden einen Tearoom bestimmt begrüßen.
„Ich weiß, ich weiß“, antwortete Belinda resigniert. „Ich sage ja auch nur, dass es schade ist, das ist alles.“
Julie probierte mehrere Schlüssel aus, die der Anwalt ihrer Mutter ihr gegeben hatte, und fand schließlich den richtigen. Bis zu diesem Augenblick hatte sie es vermieden, die Wohnung zu betreten, in der ihr Onkel gestorben war. Doch das ließ sich jetzt nicht länger hinauszögern.
Sie hatte nämlich beschlossen, während der Renovierungsarbeiten hier zu übernachten. Dann brauchte sie nicht so weit zu pendeln und hatte obendrein noch ihre Privatsphäre. Sie fand es unerträglich, wieder bei ihren Eltern wohnen zu müssen.
Sie würde so lange in Onkel Bradys Wohnung wohnen, bis sie sich etwas Besseres leisten konnte, ein Haus vielleicht.
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