Was uns glücklich macht - Roman
schon: Es gibt keinerlei Grund, sich wegen einer Therapie zu schämen. Und ich schäme mich auch nicht, wirklich nicht. Vielleicht ist es mir eher peinlich. Oder es ist mir zu privat. Wie man es auch betrachten möchte, ich habe jedenfalls niemandem verraten, dass ich fast mein ganzes Erwachsenenleben in psychoanalytischer Behandlung bin. Mein Umfeld ist dermaßen von Konkurrenz getrieben, dass es schon fast einem Eingeständnis von Schwäche gleichkommt, wenn man sagt, man nähme Hilfe in Anspruch. Ich weiß, dass all die Männer, mit denen ich zusammenarbeite oder die für mich arbeiten, bei mir nach einer Schwachstelle suchen, nach einem Makel, und – zur Hölle mit den Typen – deshalb weigere ich mich, etwas von mir preiszugeben. Und auch wenn ich weiß, dass beides nicht vergleichbar ist, halte ich meine Therapie aus demselben Grund geheim, warum ich es mir verkneife, in ein Meeting zu gehen und über Menstruationsbeschwerden zu klagen. Ich vermeide alles, was mich in eine unterlegene Position bringen könnte – auf Augenhöhe zu bleiben ist ohnehin ein ständiger Kampf.
Dr. Gray ist vergleichsweise neu, und ich liebe sie. Ich habe Unmengen der besten, diskretesten Seelenklempner von New York konsultiert, ich bin schon so lang dabei, dass einer von ihnen in Rente ging und ein anderer kürzlich verstarb. Darüber hinaus habe ich so gut wie alle Selbsthilfebücher der letzten zwanzig Jahre gelesen, manche sogar noch älter, alles von Der wunderbare Weg: Eine neue spirituelle Psychologie bis zu Alles kein Problem! , und ich habe aus jedem Buch etwas mitgenommen. Immer wieder bin ich tief in meine Vergangenheit getaucht und kam immer wieder zu demselben offensichtlichen Schluss: Ich kann Männern nicht vertrauen, weil mich die beiden wichtigsten Männer in meinem Leben im Stich gelassen haben, und so kämpfe ich in meiner Vergangenheit gegen sie und gegen alle anderen in der Gegenwart, und das Problem ist, dass das wirklich nichts Gutes für die Zukunft verheißt. Offensichtlich ist es eine Herausforderung, einen Mann zu finden, den ich lieben und dem ich vertrauen kann, wenn ich jeden Tag mit den Worten begrüße: »Zur Hölle mit dem Scheißkerl und allen, die so sind wie er«.
In Wahrheit hätte ich keinen Psychodoc gebraucht, der mir all das erklärt. Ich glaube nicht, dass man ein Psychologiestudium braucht, um herauszufinden, dass ein Mädchen, das von seinem Daddy schrecklich enttäuscht wurde, Probleme mit Männern haben wird. Und von den vielen Arten, in denen ein Vater seine Tochter enttäuschen kann, war es bei mir die schlimmste, weil er niemals eine Chance bekam, es wiedergutzumachen. Schlimmer noch, er hat immer gesagt, er hätte es für mich getan, was die Sache für ihn irgendwie besser zu machen schien, obwohl das ganz offensichtlich Schwachsinn war. Ich brauche weder einen Therapeuten noch ein Buch, um zu erkennen, dass dies ebenfalls Teil meines Problems ist. Und dann war da meine Beziehung zu Phillip und die Art und Weise, wie sie endete. Ab dem Augenblick war ich wohl so gut wie verloren.
Die Frage ist also: Wenn ich meine Probleme so gut kenne, warum gehe ich dann weiter zur Therapie?
Dafür gibt es zwei Gründe. Der erste ist wohl ziemlich traurig, aber es ist wahr, ich habe keine andere Frau, mit der ich reden kann. Die einzigen Frauen in meinem Leben arbeiten entweder mit mir, stehen zu mir in Konkurrenz oder sind meine Mutter, und es gibt einfach zu viel, was man zu Frauen, die in diese Kategorien fallen, nicht sagen kann. Das ist also der eine Grund, und der andere ist mein tief verwurzelter Glaube, dass es mir irgendwann besser gehen würde. Ich brauche dazu nur den richtigen Therapeuten, die richtige Beziehung oder eine Erleuchtung, jede dieser drei Möglichkeiten könnte den Ausschlag geben, und so, wie ich es sehe, habe ich über den Therapeuten die meiste Kontrolle, daher will ich nicht damit aufhören. Und wenn ich je mit dem Gedanken gespielt hätte, es aufzugeben, dann war das alles vergessen, als ich Dr. Gray begegnete.
Dr. Grays Methode setzt auf das buddhistische Prinzip der Achtsamkeit: Egal was man tut, man muss mit Leib und Seele dabei sein. Immer nach der Zukunft zu schielen ist ebenso gefährlich, wie immer in die Vergangenheit zurückzublicken, denn wir leben nur im gegenwärtigen Moment. Und auch wenn das wie ein Klischee klingt, meine Beziehung zu ihr ist vermutlich die beste in meinem Leben; wertvoll und wunderbar. Daher wollte ich jetzt, einen Tag nachdem ich
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