Was uns glücklich macht - Roman
sich, und als sie aufsah und mich anschaute, war sie ein anderer Mensch.
Zuerst war es mir gar nicht aufgefallen, aber sie ist ziemlich klein. Wahrscheinlich habe ich es nicht bemerkt, weil ihre Erscheinung so auffallend ist, ihre Präsenz so übermächtig, aber eigentlich ist alles an ihr klein. Ihre Hände sind winzig, ihre Finger so schmal wie eng gerollte Dollarscheine. Ihre Gesichtszüge sind klein, ebenso ihre Augen, ihre Zähne. Und wenn ich genauer hinsah, hatte ich den Eindruck, dass ihre Schultern sehr viel schmaler waren als ihre Bluse. Meine Mutter hätte sie »petite« genannt, aber während ich so dasaß, meine Hand auf ihrer, verriet mir ihr Blick, dass es ihr nichts ausmachte, wenn ich zu den wenigen Leuten gehörte, die das wussten.
»Reden wir von etwas anderem«, sagte ich munter, drückte ihre Hand und zog den Arm dann wieder zurück. »Wir haben noch jede Menge Zeit, uns das alles zu überlegen.«
»Diese Vorstellung gefällt mir«, sagte sie. »Möchtest du ein Glas Wein?«
»Kannst du Wein trinken?«
»Darauf kannst du deinen Arsch verwetten, und im Moment habe ich richtig Lust drauf.«
»Also schön, ich nehme ein Glas.«
»Perfekt«, sagte sie, »und ich trinke die restliche Flasche.«
Diesmal lächelte sie.
Zwei Gläser später begann sie mir zu erzählen, wie sehr sie sich langweilte.
»Weißt du, ich habe mich immer gefragt, was mir durch die ständige Schufterei alles entgeht«, sagte sie. Ihre Stimme klang nur ein wenig verwaschen. »Jetzt ist mir klar, dass ich überhaupt nichts verpasst habe. Gut, Reisen nach Paris, London, Aspen, aber das kann man ja auch nicht andauernd machen. Diese Woche habe ich in meiner Wohnung gesessen und ferngesehen. Ich habe über achthundert Kanäle, und es gab überhaupt nichts, was mich interessiert hätte.«
»Ich liebe Gameshows«, sagte ich.
Beinahe hätte sie so getan, als müsste sie sich übergeben. »O Gott, die sind doch das Allerübelste.«
Ich lachte. »Ich finde sie toll. Ich mag die Leute.«
»Die Leute?«, rief sie aus. »Das ist das Schlimmste. Ich glaube, die größten Idioten bewerben sich als Teilnehmer bei diesen Gameshows. Denn wenn es da draußen tatsächlich Leute gibt, die noch dümmer sind, dann ist unsere Zivilisation verloren.« Sie goss sich noch einmal ein.
»Ach, sie sind doch so ernsthaft bei der Sache«, wandte ich ein. »Sie geben sich solche Mühe.«
»Bitte.« Sie nahm einen Schluck Wein. »Heute Morgen habe ich Familien-Duell geschaut, die alte Version mit Richard Dawson, der dauernd alle Frauen abküsst – was wirklich ekelhaft ist und ein weiterer Grund sein könnte, warum ich Gameshows verabscheue – jedenfalls, nachdem Richard diese eine Frau fertig geküsst hat, sagt er ihr, sie soll ihm ein Land in Südamerika nennen, und sie sagt: ›Spanien.‹ Und ich denke mir, also gut, sie ist nicht Magellan, aber das Ende der Welt bedeutet das auch nicht. Dann kommt ihr idiotischer Bruder dran, und Richard bittet ihn, ein Land in Südamerika zu nennen, und er sieht auf, zieht ein Gesicht wie ein Hund, der mal muss, und sagt, wobei er vor Aufregung schielt: ›Wissen Sie was, Richard, ich glaube, sie hat recht. Ich sage auch Spanien.‹«
Ich brach in Gelächter aus.
»Ich konnte es einfach nicht fassen«, sagte sie und schüttelte den Kopf, und ich sehe, dass mein Gelächter ansteckend war, denn plötzlich fing sie auch an zu kichern. »Es ist wohl wirklich lustig, wenn man darüber nachdenkt.«
»Es ist urkomisch«, meinte ich, »und gleichzeitig so traurig. Mir tun die Leute in diesen Shows immer leid, sie bemühen sich so sehr. Manchmal muss ich deswegen weinen.«
Sie sah mir direkt in die Augen. »Du weinst, wenn du Gameshows anschaust?«
»Andauernd.«
»Verstehe«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Na, wir werden super miteinander klarkommen.«
»Genau«, sagte ich und wischte mir mit der Serviette die Lachtränen aus den Augen. »Wir werden richtige Busenfreundinnen sein. Breast friends forever.«
»Breast friends forever«, sagte Katherine. »Das gefällt mir.«
Katherine
Ich mochte sie auf den ersten Blick.
Wie könnte man sie auch nicht mögen? Sie ist eine sensible, süße, intelligente Person. Wenn sie ein Mann wäre, hätte ich mich in sie verliebt, bevor der Korken aus der zweiten Flasche gezogen worden wäre. Vielleicht habe ich mich auch so in sie verliebt. Vermutlich kann man sich in jemanden verlieben, ohne mit ihm oder ihr schlafen zu wollen. Wenn das geht, dann habe ich
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