Was uns glücklich macht - Roman
zornig, nicht gleich jedenfalls, nicht mal traurig, ich wurde einfach nur klein. Ich habe mich so klein gefühlt, fast unsichtbar, als wäre ich praktisch verschwunden. Und irgendwie bin ich wohl die nächsten zwanzig Jahre so klein geblieben.«
Samantha rollte eine winzige Träne über die Wange.
»Er hat die aus der Stadt geheiratet?«, fragte sie.
»Allerdings. Weniger als ein Jahr später.«
»Oh nein.«
»Warte«, sagte ich, »das Schlimmste hast du doch noch gar nicht gehört.«
Samantha
Ich kann nicht glauben, dass sie all die Jahre für ihn gearbeitet hat.
Ich kann mir nicht vorstellen, jeden Montag ins Büro zu gehen und Robert zu fragen, wie sein Wochenende war. Völlig egal, um wie viel Geld es dabei gegangen ist, keine Summe der Welt könnte das aufwiegen.
Was ich an Katherine am meisten bewunderte, war, wie sehr sie sich ihrer selbst bewusst ist. Sie versteht sich selbst ganz genau, ist sich absolut darüber im Klaren, wie ungesund ihr Leben seit Phillip ist, und noch genauer weiß sie, welche Krise sie im Augenblick zu bewältigen hat. Sie versteht ganz und gar, womit sie es zu tun hat, und sie ist stark. Ich konnte ihre Kraft an dem Nachmittag spüren, und in den Wochen darauf bewunderte ich sie immer mehr dafür.
Für eine starke Person ist es vielleicht das Schwierigste, sich einzugestehen, dass sie Hilfe braucht. Aber Katherine hat im Lauf unseres Zusammenseins einfach akzeptiert, dass es kein Zeichen von Schwäche, sondern von großem Mut war, mich anzunehmen, sich auf mich zu stützen, mir zu erlauben, ihre Gesundheitsfürsorgerin zu werden. Und das wurde ich gleich dort, bei einer zweiten Flasche Burgunder.
Drei Tage später, vollkommen nüchtern, gingen wir auf den massiven Komplex des Memorial Sloan-Kettering Krebszentrums zu, wo Katherine zwei Tage im achtzehnten Stock verbringen sollte. Vor ihr lagen spezielle Biopsien, sie sollte eine zweite und dritte Meinung zu ihrer Diagnose hören und dann mit der Chemotherapie beginnen. Schon bei unserem ersten Lunch hatte Katherine mir vom achtzehnten Stock erzählt. Anscheinend ist das unter den Reichen und Berühmten ein offenes Geheimnis, genau wie David Copperfields Insel. Es ist ein besonderes Stockwerk für die Premium-Krebspatienten dieser Welt. Die Therapie selbst ist nicht anders oder besser, der Unterschied liegt in der Art der Unterbringung, der Versorgung. Katherine sagte mir, ich solle so etwas wie das Four Seasons erwarten, aber als wir das Gebäude betraten, fühlte es sich eher wie ein Motel an, das man an einer verlassenen Straße in einer üblen Nachbarschaft vorfindet. Obwohl wir Geld hatten und das Personal wusste, dass wir im achtzehnten Stock erwartet wurden, bewahrte uns das nicht davor, bei der völlig überfüllten Aufnahme im Erdgeschoss warten zu müssen.
Ich brach fast zusammen.
Katherine war schon aufgeregt genug, auch ohne die drei Stunden Wartezeit wegen der Papierflut und des Schichtwechsels. Sie versuchte mich zu beruhigen, und plötzlich dachte ich: Wenn sie mich tröstet, was bewirke ich dann eigentlich? Warum bin ich überhaupt hier? Und so nahm ich die Sache in die Hand. Als keiner hinsah, schlüpfte ich in einen Lagerraum und klaute eine fahrbare Krankenliege. Ich winkte Katherine herbei, und bevor sie sich noch dagegen sperren konnte, sagte ich: »Leg dich dadrauf.«
Kurz darauf rollte ich Katherine am Schwesternzimmer und dem Sicherheitsdienst vorbei zu der einzigen Reihe Aufzüge, die ich von unserem Platz aus sehen konnte. Ich drückte den Knopf und hielt den Atem an. Und zu meiner großen Erleichterung war das Erste, was ich sah, als ich den Aufzug betrat, ein Schild an der Hinterwand: 10. – 18. Stock.
»Wir haben’s geschafft«, flüsterte ich Katherine zu, die es auf ihrer Krankenliege recht bequem zu haben schien. Ihr Kopf ruhte auf zwei Kopfkissenbezügen, die ich aufgerollt hatte. »Es geht hinauf!«
Aber dann leuchtete der Knopf nicht auf. Egal ob ich mit dem Daumen oder dem Zeigefinger darauf drückte, mit dem Nagel antippte oder meine ganze Handfläche an den Schlitz legte. Nichts. Die Tür ging einfach zu, und dann standen wir da. Wirklich erstaunlich, wie enervierend es ist, wenn sich ein Aufzug nicht bewegt. Auch so eine Sache, wie der brummende Kühlschrank, die sich erst bemerkbar macht, wenn sie aufhört.
»Ich glaube nicht, dass wir uns bewegen«, sagte Katherine.
Ich sah nach unten. Ihre Augen waren geschlossen. Ihre Stimme klang gedämpft, entspannt.
»Ich weiß«, sagte
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