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Was uns nicht gehört - Roman

Was uns nicht gehört - Roman

Titel: Was uns nicht gehört - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel , Kimche AG <Zürich>
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dein Stern, ist er fern, ist er fern, ist er fern» sang, vor ihr ein graues Publikum, das mit offenen Mündern um Fassung rang.
    «Morgen ist frei», sagte Maria, «dann Remagen, Montabaur und zweimal Bingen.»
    Wir fuhren einige Minuten an Äckern und Feldern entlang, bevor Maria ihren Wagen kurz hinter einem kleinen Waldstück in einen Feldweg lenkte und nach wenigen Metern den Motor abstellte. Auch die Kassettenmusik verstummte, und ich erschrak über die plötzliche Stille, die uns umgab. Vor uns lag ein Acker, auf dem sich die Konturen eines landwirtschaftlichen Monstrums gegen den Himmel abzeichneten, darüber ein halber Mond, vor den sich dünne Wolkenschlieren geschoben hatten.
    «Keine Angst», sagte Maria, nachdem wir eine Weile stumm nebeneinander gesessen hatten, «hier findet uns keiner», und noch bevor ich sie fragen konnte, was genau sie damit meinte, war sie ausgestiegen und zwischen den Bäumen des Waldstücks verschwunden.
    Ich schüttelte den Kopf. Natürlich würde uns hier keiner finden, schließlich suchte ja niemand nach uns, aber von einem Moment auf den anderen wurde mir mulmig. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich seit der Zelttour mit meinem Vater im Harz keine einzige Nacht mehr unter freiem Himmel zugebracht. Mangels Gelegenheit oder mangels Mut vermochte ich nicht zu sagen, auf alle Fälle hatte es mich nie danach gedrängt, die sicheren Wände einer Wohnung gegen die Unwägbarkeiten der Natur einzutauschen, und auch die Tatsache, dass wir die Nacht nicht wirklich unter freiem Himmel, sondern im Schutz von Marias Camping-Bus verbringen würden, vermochte mich kaum zu beruhigen. Vermutlich war sie anderes gewohnt, und ich zweifelte nicht daran, dass sie sich im Ernstfall zu verteidigen wusste, aber auch ihre Kraft und ihr Geschick hatten Grenzen und reichten gewiss nicht für zwei. Ich machte die Innenbeleuchtung, die ich vorübergehend gegen meine Mulmigkeit eingeschaltet hatte, wieder aus und versuchte irgendetwas von ihr draußen zu erkennen, und als sich meine Augen nach einigen Sekunden an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich Maria tatsächlich keine zwanzig Meter entfernt auf einer Bank sitzen. Das heißt, sie kniete oder saß im Schneidersitz oder sonst irgendwie verrenkt, und als ich ausstieg und zu ihr hinlief, erkannte ich, dass sie die Augen geschlossen hatte. Maria atmete tief und gleichmäßig, fast so, als schlafe sie, aber dann sah ich, wie sich die Hände in ihrem Schoß bewegten, wie sich ihre ineinander verschränkten Finger abwechselnd auf- und wieder einfalteten, gleichförmig wie ein Metronom. Ich zögerte einen Moment, dann setzte ich mich vorsichtig neben sie. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich weiter ihre Hände, die so wenig wie sie selbst von meiner Anwesenheit Notiz zu nehmen schienen. Nicht von meiner Anwesenheit und nicht von der Nachtkälte, die mir bereits nach wenigen Sekunden auf der Bank in den Körper kroch, und als ich schon aufstehen und zurück zum Wagen gehen wollte, sagte Maria: «Das ist schön.»
    Sie öffnete die Augen und sah mich an. Trotz der Dunkelheit glaubte ich in ihrem Blick etwas Verletzliches, nein, etwas Verletztes zu erkennen, etwas, das ich in ihrem Taggesicht bislang noch nicht wahrgenommen hatte, aber schon im nächsten Moment sah sie aus wie immer.
    «Du bist mutig», sagte Maria, «und ich hätte nicht gedacht, dass du mutig bist. Das ist schön.»
    «Ist das ein Kompliment?», fragte ich zurück.
    Maria lachte. «Klingt nicht so, oder?»
    «Um ehrlich zu sein», sagte ich, «ist das hier gerade ein bisschen viel Nacht und Natur für mich.»
    Die Schlieren am Himmel hatten sich zu einer dichten Wolkenschicht zusammengeschoben, hinter der der Mond nur noch als diffuser Fleck zu erahnen war. Ich glaubte, Rauch zu riechen, dabei waren wir seit unserem Abfahren von der Autobahn an keinem einzigen Haus vorbeigekommen. Maria neben mir entknotete ihre Beine und stand auf. Die Hände in den Hosentaschen blieb sie einige Sekunden vor der Bank stehen, dann zuckte ihre rechte Schulter in Richtung des Wagens.
    «Lass uns reingehen», sagte sie, «es ist kalt.»
    Ich stand auf und folgte ihr, und als wir ein paar Minuten später nebeneinander auf der Matratze lagen, fasste sie mit ihrer Hand nach meinem Unterarm und ließ sie ohne ein weiteres Wort dort liegen. Anders als in der Nacht zuvor hatte ich meine Straßenkleidung ausgezogen und lag wie sie im Pyjama unter meiner Decke. Die Wärme ihrer Hand floss über meinen Arm in

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