Was uns nicht gehört - Roman
deutete ich durch die Scheibe auf die kärglich beleuchtete Straße vor uns, aber Maria schien meine Hand im Dunkel des Wageninneren nicht zu bemerken.
«Noch eine halbe Stunde», sagte sie, «dann ist Schluss für heute.»
Ich ließ meinen Arm sinken und sah sie von der Seite an. Maria Merz, Sängerin, vermutlich Schwäbin, das war es auch schon, was ich von ihr wusste. Bereits vor dem Konzert hatte ich eine kleine Tasche gepackt, genug für drei oder vier Tage, dabei hatte ich keine Ahnung, wohin unsere Fahrt gehen würde. Das einzige, was ich sicher zu wissen glaubte, war, dass ich auch am kommenden Morgen in diesem Bus aufwachen wollte, egal, wo er dann stand, und egal, ob ich abermals komplett angezogen unter Marias Bücherregal liegen würde oder nackt an ihren Rücken geschmiegt. Doch als ich am Abend allein hinter dem Tresen der Garderobe im Mahagoni saß und Marias Stimme durch die Tür zu mir herauswaberte, kamen mir Zweifel. Vielleicht war es genau so, wie Dr. Janson es sagte, und das Einzige, was ich für meinen Vater noch tun konnte, war, bei ihm zu sein, ganz gleich, was er mit mir verband. Selbst wenn es nur ein paar Tage sein würden, wie konnte ich wissen, dass es nicht genau auf sie ankam. Und überhaupt: Was eigentlich wollten Maria und ich voneinander? Ich war kein Groupie, und sie war kein Star, und außer unseren Albereien vom Morgen gab es keine Pläne, die wir miteinander teilten. Vielleicht würde sie nach dem Konzert auch einfach verschwinden, ein kurzer Gruß in meine Richtung, und schon wären wir wieder getrennte Menschen, die auf getrennten Wegen durch getrennte Welten kreiselten. Vorsichtshalber hielt ich mein Gepäck unter dem Garderobentresen versteckt, aber als Maria nach dem Konzert aus der Künstlergarderobe auftauchte, kam sie direkt auf mich zu.
«Und?», fragte sie.
Sie warf ihre Tasche zwischen uns auf den Tresen und lächelte mich an. Maria hatte sich umgezogen und abgeschminkt, trug aber noch immer ihre Mireille-Mathieu-Perücke, unter der hinter den Ohren ein paar von ihren blonden Haaren hervorschimmerten. Anders als an den Konzertabenden zuvor konnte ich keinerlei Zeichen von Erschöpfung in ihrem Gesicht erkennen. Im Gegenteil wirkte Maria fast schon beängstigend tatendurstig, gerade so, als sei ihr Auftritt nicht mehr als eine kleine Aufwärmübung für den Rest des Abends gewesen.
«Was, und?», fragte ich zurück und versuchte überrascht zu klingen, ein Versuch, so kläglich wie der, noch einmal meine Garderobenkasse aufzuklappen und mit den wenigen Münzen darin Geschäftigkeit vorzutäuschen.
«Komm schon, tu nicht so», sagte sie, «du denkst doch den ganzen Tag an nichts anderes, also, was ist?»
Ich zögerte einen Moment, dann bückte ich mich und stellte meine Tasche neben ihre auf den Tresen, wo sie, dünn gepackt, wie sie war, sofort in sich zusammensackte.
«Ehrlich gesagt, hatte ich gedacht, du kommst mit ein bisschen mehr, aber vielleicht hast du recht.»
Ich nickte, nein, ich schüttelte den Kopf. Ich hatte nicht recht, wie konnte ich Maria nur so unverhohlen zeigen, dass ich der Sache nicht traute. Dass ich unserer Sache nicht traute, und auch wenn ich noch immer nicht wusste, was genau diese Sache war, bereute ich auf der Stelle, nicht mit zwei vollgepackten Koffern ins Mahagoni eingerückt zu sein.
«Ich brauche nicht viel», bemühte ich mich zu erwidern, und Maria lachte und sagte: «Für die Probezeit wird’s schon reichen», so waren wir losgegangen.
Maria fuhr bis auf wenige Meter auf einen Lastwagen auf und scherte aus, ohne den Blinker zu setzen. Sie sprach nicht viel, und auch ich sprach nicht viel, und obwohl das Schweigen zwischen uns nichts Bedrohliches hatte, war ich froh, als sie irgendwann eine Kassette einlegte und wir beide ein bisschen vor uns hinsummen konnten. Von Zeit zu Zeit klopfte Maria zusätzlich ein paar Takte der Melodie mit den Fingern auf das Lenkrad, dabei hatte die Musik überraschend wenig mit der ihrer Auftritte zu tun. Sie war hart und schnell, und nur die Zeit, aus der sie mir zu stammen schien, passte irgendwie zu Mireille Mathieu. Siegziger-Jahre-Rock, der aus Marias Anlage noch mehr schepperte als ohnehin. Ich erkannte ein Stück von Deep Purple, nein, von Rainbow, «where is your star, is it far, is it far, is it far» , und für einen kurzen Moment stellte ich mir Maria mit Ritchie-Blackmore-Perücke und Plateausohlen auf der Bühne des Mahagoni vor, wie sie mit gespieltem englischen Akzent «wo ist
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