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Was - Waere - Wenn

Was - Waere - Wenn

Titel: Was - Waere - Wenn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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Gegenwert
in etwa der Bundesneuverschuldung entspricht. Aber ich war machtlos. Er hing in
einem Schaufenster und rief nach mir. Charly, Charly, nimm
mich mit, und zieh mich an, mit mir werden alle deine Träume in Erfüllung
gehen! Wie hätte ich da vorbeigehen können? Und eins ist sicher: Die
anderen mögen erfolgreicher und wichtiger sein als ich – aber mit meinem
Barbarella-Emma-Peel-mäßigen Nadelstreifen-Catsuit bin ich die absolute
Sensation!
    Wieder zu Hause mache ich zuerst Musik an. Vielleicht habe ich ja
Glück, und im Radio kommt noch mal das Grönemeyer-Lied. Das wäre genau das
Richtige, um mich auf den Abend einzustimmen. Wieso habe ich mir nicht schon
längst die CD besorgt? Ach ja, mein Kontostand, da
war doch was. Aber auf den kommt es ja spätestens jetzt sowieso nicht mehr an.
Hoffe nur, die Bank läßt den Scheck nicht platzen! Mariah Carey heult sich
durch den Regen, da kann man nur schnell den Sendersuchlauf betätigen. »Take on
me« fordern A-ha, dieser Song ist doch für die Vorbereitung auf eine nostalgische
Schulveranstaltung mehr als perfekt!
    Im Bad kann ich den Sender leider nicht einstellen, das Radio war
    ein Werbegeschenk von Welle 98,9 und funkt einzig und allein auf dieser
Frequenz. Also drehe ich die Musik im Wohnzimmer noch etwas auf, bevor ich zu
meinen aufwendigen Ausgeh-Vorbereitungen schreite: Körperpeeling, Beine
rasieren, Fingernägel lackieren – heute mache ich alles, wozu ich sonst viel zu
faul bin. Und zu ungelenk, wie ich zwanzig Minuten später nach der ersten
Nagellackschlacht feststellen muß. Überall im Bad verteilen sich rote Sprenkel,
nur meine Fingernägel sind noch vollkommen unbelackt. Dann bleibt es eben beim
normalen Pflegeprogramm.
    Als ich gerade dabei bin, mich in eine Stützstrumpfhose von H&M
zu quetschen (Geheimtip, mit so etwas kann man Beine, Bauch und Po ungemein
tunen), klingelt es an der Tür. Ein denkbar ungünstiger Moment für Besuch, denn
im Prozeß des Anziehens ähnelt die Strumpfhose einer Zwangsjacke, die jede
größere Bewegung unmöglich macht. Wahrscheinlich ist das sowieso wieder nur
jemand, der ins Haus will, um einen Stapel Wochenanzeiger im Flur zu
hinterlassen. Soll halt wer anders aufmachen. Aber es klingelt noch einmal. Und
dann noch mal, also doch Besuch. Es klopft. Wer auch immer das ist, in jedem
Fall steht er schon vor der Wohnungstür.
    »Momeeent«, brülle ich, so laut ich kann, und versuche gleichzeitig,
die Strumpfhose von den Kniekehlen aus weiter hoch zu ziehen. Dabei balanciere
ich auf einem Bein und habe Mühe, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Mit
einem kräftigen Ruck reiße ich an der Nylonhose. Ratsch – ein riesiges Loch
erstreckt sich über meinen linken Oberschenkel. 70  DEN heißt heute auch nichts mehr. Dabei war das meine letzte! Und ich will doch
einen Catsuit anziehen! Hektisch versuche ich, mich aus der eisernen
Umklammerung meiner Strumpfhose zu winden, die Blutzufuhr zum linken
Unterschenkel ist bereits abgeschnürt.
    »Scheiße«, fluche ich, das verdammte Ding läßt sich einfach nicht
ausziehen. Beim Versuch, mich mit dem rechten Fuß auf dem Toilettendeckel
abzustützen, fange ich an zu straucheln. Wie in Zeitlupe sehe ich mich selbst
zu Boden gehen und mit einem lauten »Rums« auf den Badezimmerfliesen
aufschlagen.
    Es klopft wieder, jemand ruft: »Hallo!« Hoffentlich überlebe ich das
hier, mein Leichnam wäre kein besonders würdiger Anblick. Wer will schon so
gefunden werden, mit einer zerrissenen Stützstrumpfhose zum Päckchen
verschnürt? Mit letzter Kraft setze ich mich auf, hangele nach der Nagelschere,
die auf dem Rand des Waschbeckens liegt, und bereite meinen Fesseln ein
schnelles, schmerzloses Ende. Über meiner linken Kniescheibe wölbt sich bereits
eine bläuliche Beule. Wenigstens weiß ich bei dieser Blessur, woher ich sie
habe. Das kann ich nicht von jedem blauen Fleck behaupten, den ich mir in meinem
Leben zugezogen habe. Nach so mancher wilden Partynacht habe ich morgens
ausgesehen, als wäre ich gegen die Klitschko-Brüder angetreten. Filmriß halt.
Ja, ich bin schlimm.
    »Hallo?« Richtig, der Grund meines Niedergangs steht noch immer vor
der Tür. Den mach ich fertig!
    »Was verdammt …?« schimpfe ich, als ich zehn Sekunden später in
meinem Ikea-Frotteebademantel die Wohnungstür aufreiße.
    »Huh, sexy!« Tim bedenkt mich sowie meinen Bademantel mit lasziven
Blicken.
    »Was willst du denn hier?«
    »Stören«, antwortet Tim und ist schon in der Wohnung,

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