Was weiß der Richter von der Liebe
sagen würde: Mensch, die Frau Gramkow ist so fit, die findet das.
Aber nix war’s. Kein stolz, kein fit, Frau Meins war unzufrieden. Und wies die junge Kollegin erst mal in die ungeschriebenen Gesetze der Gebührenordnung ein, wie sie damals, zwischen 2000 und 2003, in ihrer Straßenverkehrsbehörde galten: EineHöchstgebühr könne nämlich durchaus auch mal verdoppelt werden. Oder ganz außer Acht gelassen. Denn es sei doch ungerecht, erklärte Frau Meins der Praktikantin, dass die Großen genau so viel zahlten wie die Kleinen! Und als sie das hörte, dachte Frau Gramkow: Na klar, sie ist ja erfahrener als ich. Und erst als Frau Meins mal länger krank war, da ging Frau Gramkow mit ihren erstellten Bescheiden zu Herrn Schmadtke, Name geändert, Herr Schmadtke aber erschauderte tief drinnen in seinem Bodybuilderkörper und machte dann lieber fix von seiner Remonstrationspflicht Gebrauch: Ein Brief wanderte aufwärts und Akten bald hinterher, es wurde gewälzt, geblättert und befunden, und als die Meins nach längerer Krankheit in ihre Straßenverkehrsbehörde zurückkam, da wurde sie konfrontiert. Und erklärte:
Sie habe den Absatz mit der Höchstgebühr nicht bemerkt. Sie habe eben ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Sie sei vor Zeiten so angelernt worden. So wand sie sich in Unwürde, so zappelte sie im scharfkantigen Zuschnappen der Rahmengebühr, und die Kollegen damals, die waren noch gnädig: »Es war alles redlich, es war alles reell«, meldet der Mann von der Dienstaufsicht, und was er meint, ist: dass Frau Meins das Geld zur allgemeinen Verwunderung nicht in die eigene Tasche gesteckt hat. Sondern eben ins zerrupfte Säckel des Landes Berlin. Nach der Konfrontation dann wurde Frau Meins ein wenig weggeschoben aus dem Dienst. In einen anderen Dienst halt. Kenner der Szene berichten freimütig dem Richter: Eine Höchstgebühr zu verdoppeln, das sei nicht unüblich gewesen. Und der Verteidiger fragt zwischendurch: Ob denn den 35 Fällen nachgegangen wurde,in denen andere Beamte als Frau Meins die falschen Bescheide unterzeichnet hätten? Och, das weiß der Mann von der Dienstaufsicht nicht. Und steht ja auch alles hier nicht zur Debatte. Erhobenen Schädels gehen er und die Kollegen wieder zu ihren Vorgängen. Frau Meins aber wird jetzt zu Ende gebracht.
Der Richter rumpelt sich noch mal warm. Im Donnergrollen schießt auch die Staatsanwältin scharf: Es sei ein erheblicher Schaden für das Ansehen der Verwaltung entstanden! Der Verteidiger murmelt was von fahrlässig und Freispruch. Dann ist Frau Meins dran. Und jetzt endlich, beim letzten Wort, in ihren letzten Zügen, da scheint Frau Meins kapiert zu haben, und ein Leidtun erfasst sie: So viele Leute seien geschädigt worden!, bemerkt sie, endlich unter Tränen nun, ach, und sie bittet um Milde – ihre gesundheitliche Lage … sie stehe das nicht durch –, und ein letztes Mal noch bäumt eine lebendige Pikiertheit sich auf: Wenn sie jetzt von der Staatsanwältin höre »Zwei Jahre auf Bewährung« – da würde sie ja aus dem Dienst entlassen! Aber da hat sie ganz richtig gehört.
HERR MECKELFELD WIRD ERZOGEN
Manchmal kann so ein Prozess sehr schnell zu Ende sein. Der Nebenkläger ist ein leichter, dürrer Mann; in knallroter Blousonjacke mit fetter Aufschrift kommt er dahergehuscht, seine raspelkurzen Haare krönt eine kecke Keiltolle – manche Menschen fühlen sich sicherer so. Dieser hier, Herr Ingo Meckelfeld, versucht still, sich zu erinnern: Wie es denn damals war, als sein Mitbewohner, vierter Stock, Hinterhaus, Wedding – als sein frisch eingezogener Mitbewohner ihn noch während des Einzugsumtrunks packte, ihn durchs offene Fenster schob und ihn hinaushängte, an zwei Füßen, später nur noch an einem. Scherzworte waren vorher gewechselt worden, an die keiner sich mehr erinnern kann, eines nur hat sich eingeprägt: Herr Kesten, Anfang vierzig, Abrissarbeiter, ein Kobold voll namenloser Kräfte, fühlte sich nicht ernst genommen. Ein Dialog war entstanden zwischen Umzugsbieren, ein Lachen war ertönt, dann ging alles recht schnell, und Herr Kesten, der von Anfang an für klare Verhältnisse sorgen wollte in der neuen Wohngemeinschaft, er schrie auf den Dünnen ein, wie der so an der Hauswand herabhing: Jetzt wisse er, wie das hier laufe; das werde jetzt jedes Mal geschehen, wenn so etwas vorkomme. Herr Meckelfeld, umsonst hatte er sich zu wehren versucht, vergebens suchten seine Hände nach Halt und schrie er um Hilfe, Herr
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