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Was weiß der Richter von der Liebe

Was weiß der Richter von der Liebe

Titel: Was weiß der Richter von der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Ungerer
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halt so anfielen beiStudienstätte, Behindertenwerkstatt, bei GmbH und Trägerverein. Nebenher blieb sogar noch Zeit für griechische Mythologie, und so konnte ein zugekauftes Haus in Griechenland »Haus Hermes« getauft werden, nach dem renommierten Seelenführer; eine Yacht »Aletheia 2«, nach der Göttin der Wahrheit oder wenigstens doch ihrer Nachfolgerin.
    Herr Kagel hätte das alles nicht erreichen können, wäre er nicht im Innersten ein hochanständiger Mensch, auf den allerhand Umstände einstürzten: diese Überlastung! Und dann die Kürzungen allenthalben! Da kann auch der Aufrechteste auf schiefe Gedanken verfallen – stand doch ein nobles Anliegen auf dem Spiel. Herr Kagel bestreitet, dass er von den hinterzogenen 356   000 Euro nur 81   000 an seine Mitarbeiter ausgezahlt habe, den Rest von 275   000 aber für sich behalten. Viel mehr Geld habe er, seiner Erinnerung nach, den Kollegen in die offenen Hände gedrückt, viel weniger für sich selbst einbehalten – nur kann er das alles nicht mehr belegen, das Schwarzgeld hat keine Buchhaltung, und so bleibt Herrn Kagel nur eine vage Ahnung: »Ich habe nicht immer ausreichend formell und materiell zwischen mir und der GmbH unterschieden.«
    Wie schade ist das. So viele große Pläne standen noch an! Sein »Haus Hermes«, das Herr Kagel über einen Strohmann an den eigenen Verein vermietete – hier sind doch Oliven geerntet, sind doch Kräuter gesammelt worden, mit deren Erlös man den Verein unterstützen konnte! Herrn Kagels Segelyacht, für die gleichfalls der Verein bezahlte – hier sollte doch eines Tages eine »Schule auf See« für schwererziehbare Jugendliche entstehen!Reumütig räumt er ein: »Ich muss rückblickend kritisch sagen, dass zwischen geplanter und tatsächlicher Nutzung eine Diskrepanz bestand.«
    Es gibt so viele gute Seiten an Herrn Kagel, er hat selbst das Herz von Frau Justitia erweichen können: durch sein Geständnis kürzlich. Monate und Abermonate hätte sich das Verfahren hier sonst hinstrecken können, da schlottert der Staatsanwalt, und seine Verlesung der Anklageschrift reicht als Indiz für die Richtigkeit der Prognose hin: Nur auszugsweise – »weil das alle Anwesenden sonst langweilen würde« – verlas der Ankläger die Dutzenden Namen von Menschen, welche Herr Kagel in sein schwarzes Kassensystem hineingezogen hat, minutenlang ging das, immer mehr Namen, immer mehr getürkte Reiseabrechnungen und Fantasiehonorare, still und gefasst hörte der Mann mit dem Silberschopf zu, als gälte es einem besonders gehaltvollen Bruckner zu lauschen, der Gerichtsdienerin versagten die Augenlider, der Richter fiel der Anklageverlesung ins Wort: Also, er lege keinen Wert darauf, das alles zu hören.
    Aber das wollte sich der Staatsanwalt, nun mittendrin im Vorlesen, nicht nehmen lassen. Einmal wenigstens den Umfang der Schuld aufscheinen lassen! Wo doch ansonsten das Verfahren auf eine schnelle Lösung zuläuft und man ja ein paar mindere Anklagepunkte hier und jetzt gleich unter den Tisch wedeln wird. Herrn Kagels Geständnis sei Dank nämlich schnurrt der drohende Verfahrensmoloch zu einem kleinen, feinen Vormittag der Gerechtigkeitsfindung zusammen, kann der Staatsanwalt aufatmend zusichern: Er werde nicht mehr als viereinhalb Jahre Haftbeantragen, und froh sei er, dass im Vorfeld »ein Kompromiss gefunden wurde«. Die Ressourcen von Polizei und Justiz könnten nun auf andere Weise genutzt werden.
    Das ist dem Angeklagten natürlich unbedingt zugute zu halten. Sowie auch das zerstörte Lebenswerk. Sowie der unrühmliche Abschied – Herr Kagel muss sogar, so lässt er verlesen, mit seinem Verein um eine Abfindung prozessieren! Der Verteidiger schließt sich kurz an, hält eine bündige Laudatio auf einen »Menschen voller Ideen«, einen tatkräftigen Mann, »der dann gestolpert ist«. Da mag der Richter sich nicht mehr groß dazwischenmengen. Wo doch Verteidigung und Staatsanwaltschaft hier rechtzeitig zueinander gefunden haben zu vier Jahren und sechs Monaten Haft, da möchte er sich »jede eigene Strafzumessung ersparen«, da möchte er es nur noch einmal aussprechen: »Tragik«. Es ist das Wort, mit dem der Rechtsstaat heute sein entlaufenes Schäflein tröstet, welches ja laut Richterbefund »keinem so richtig weh getan hat«. Herr Kagel hält den Kopf geneigt zum Urteil, er sagt nichts, er befindet sich in innerer Sammlung – schließlich warten schon wieder Aufgaben auf ihn. Aus der Haftanstalt hört man, er habe

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